Renninger Krippe

Sehr geehrten Damen und Herren,

immer wieder versammeln wir uns hier an der  Krippe – an diesem so wichtigen Symbol unseres Christentums. Maria und Josef und das Kind in der Krippe, Ochs und Esel, die heiligen drei Könige  und der Stern am Himmel –  Diese Bilder haben eine lange Geschichte, sie prägen unsere Kultur und sie durften und dürfen immer wieder ein bisschen verändert und variiert werden. Diese ist ein selbstverständliches Zeichen unsere Kunstgeschichte und eigentlich jeder Kultur. Da war und ist  immer auch Interpretation und Fortschreibung dabei. Und daran knüpft auch die Renninger Krippe in Malmsheim jedes Jahr wieder neu an. Es ist ja alles gar nicht so exakt überliefert. Wie war das denn z.B. wirklich mit den heiligen drei Königen? Waren es Sterndeuter, Weise oder Magier?  Waren es wirklich drei Männer, die im Stall dem Jesuskind ihre Geschenke übergaben?

Die Künstler, denen wir die vielen verschiedenen und immer anders eindrücklichen Darstellungen zu verdanken haben, haben einfach aufgrund der drei Geschenke, von denen das Evangelium berichtet, nämlich Gold, Weihrauch und Myrre, auf drei Personen geschlossen. Erst im 6. Jahrhundert hat man ihnen dann Namen gegeben, nämlich  Balthasar, Melchior und Caspar und so kam immer wieder etwas Neues hinzu oder etwas Bisheriges wurde zurückgedrängt.

Auch von Ochs und Esel isst im Neuen Testament nicht die Rede. Die kamen durch einen Bezug zum Alten Testament dazu. Es wurde sogar gesagt, Ochs und Esel, die einträchtig an der Krippe das Kind begrüßen, seine Symbole des Juden- und des Heidentums. Dann würde es sich bei unserer christlichen Überlieferung also um eine Mixtur, eine Integration früherer Vorstellung mit unsere Religion handeln. Auf jeden Fall sind es Beispiele, wie sich die Geschichten und die Geschichte im Laufe der Zeit entwickelt haben.

Also: Wir dürfen die Geschichte der Geburt Jesu  fortschreiben und ausschmücken. Wir dürfen unsere eigene Zeit, ihre Anliegen und Herausforderungen hineinweben in diesen Teppich der Tradition –  genau das macht unsere Kultur ja aus, die uns verbindet und zusammenhält. Heute fragen wir uns manchmal, ob der Zusammenhalt der Menschen früher besser war, ob er heute brüchig wird.

Was hält unsere Gesellschaft angesichts der Vielfalt, der offenen Grenzen, der breiten Informationsmöglichkeiten denn heute noch  im Innersten zusammen? Wie können wir Barrieren überwinden zwischen verschiedenen Kulturen und verschiedenen Religionen? Ich bin sicherlich nicht die Erste, die diese Frage hier an der Krippe stellt. Für Erwin Teufel war sie ein Dauerthema. Aber vielleicht ist sie heute angesichts der Auseinandersetzungen, die in Politik und Gesellschaft aufflammen, wieder und besonders berechtigt.

Uns Deutsche hält das Grundgesetz zusammen. Es ist unbestritten die wesentliche Grundlage unseres Zusammenlebens. In diesem Frühjahr, am 23. Mai, wird das Grundgesetz schon 70 Jahre alt. Kaum jemand hat damals geahnt, dass die nüchternen Artikel, die seine Väter und Mütter in Bonn in wenigen Monaten zu Papier brachten, das Fundament einer stabilen Demokratie bilden würden. Ursprünglich war es nur als Provisorium bis zur Herstellung der deutschen Einheit geplant, aber es hat sich als dauerhafte und belastungsfähige Grundlage von Staat und Gesellschaft bewährt.

Der Parlamentarische Rat hat 1949 unter seinem Präsidenten Konrad Adenauer der Bundesrepublik den Lebensatem eingehaucht. Die unantastbare Menschenwürde wurde zum höchsten Wert erklärt und einklagbare Grundrechte wurden aus der Taufe gehoben, von denen nicht wenige ganz maßgeblich auf christlichen Werten beruhen. Für uns Deutsche hat das Grundgesetz bis heute einen ganz besonderen Stellenwert: 91 Prozent der Bürger haben großes Vertrauen in unser Grundgesetz, das ergab eine repräsentative Studie des Allensbach-Instituts (2014). Seine Sachlichkeit spiegelt sich in der alltäglichen  deutschen Politik wider. Pathos liegt uns nicht, wir sind sehr vorsichtig damit geworden in der Bundesrepublik Deutschland. Besonders deutlich wird das im Verzicht auf die Betonung nationaler Stärke im Umgang mit unseren Partnern in der Welt. Keinesfalls wollen wir auftrumpfen, niemanden vor den Kopf stoßen oder überrumpeln. Und gerne üben wir den Schulterschluss mit unseren EU-Partnern. Die Europäische Union gehört zur Staatsräson der Bundesrepublik.

Auch im Inneren unseres Landes verzichten wir möglichst auf Pomp und Gloria und wählen die leisen Töne. Denn: Unsere Demokratie ist auf Kompromiss angelegt, auf Konsens. Man kann nicht lautstark auf den Tisch hauen, wenn man genau weiß, dass man sich letztlich mit dem Anderen ja irgendwie arrangieren muss. Mit einer Politik auf Basis der Vernunft sind wir in den vergangenen 70 Jahren immer sehr gut gefahren. Eine Überbetonung der Emotionen, so wie manche Parteien neuerdings  die Angst vor dem Fremden in nahezu jede politische Debatte einbringen, steht ganz im Gegensatz zu einer solchen vernunftbasierten Politik.

Heute scheinen uns Grundrechte des Grundgesetzes ganz und gar selbstverständlich zu sein.. Aber ein Blick in die Welt genügt: Diese Grundrechte sind alles andere als selbstverständlich. Das wissen Sie aus Ihrer Arbeit und von Ihren Reisen in andere Länder ja nur zu gut, lieber Herr Pfarrer Pitzal. Schon seit mehreren Jahrzehnten bringen Sie, lieber Herr Pitzal, gemeinsam mit Ihrer Kirchengemeinde und vielen ehrenamtlichen Helfern, viel Zeit und Arbeit auf für humanitäre Hilfsprojekte in aller Welt. Damit leisten Sie einen ganz wesentlichen Beitrag für die Lebensbedingungen der Menschen dort, aber auch für das  wechselseitige Vertrauen und Verständnis zwischen den Ländern. Dafür möchte auch ich Ihnen sehr herzlich danken.

Das Bewusstsein für die „eine Welt“ hat sich mittlerweile gut verbreitet, aber das war nicht immer so. Sie waren hier Vorreiter, lieber Herr Pitzal. Jetzt erkennen viele, dass wir die Menschen auf anderen Kontinenten nicht ausblenden dürfen, dass die Menschen z.B. in Afrika unsere nächsten Nachbarn sind. Wir wissen eigentlich schon lange, dass wir mit dazu beitragen müssen, dass die Lebensbedingungen in anderen Ländern akzeptabel sein müssen. Die großen Wanderbewegungen, die wir 2015 erlebt haben und die uns angesichts des Klimawandels vielleicht noch bevorstehen, führen uns jetzt hautnah vor Augen, dass wir noch viel mehr Hilfe und Unterstützung und Zusammenarbeit anbieten müssen, als bisher. Deswegen hat das Land Baden-Württemberg jetzt – nicht zuletzt auf Initiative der CDU-Fraktion – eine wirtschaftspolitische Afrika-Strategie gestartet, um die Entwicklung und die Zusammenarbeit mit dem Nachbarkontinent der EU in den Fokus zu rücken.

Wie wichtig die Aufgeschlossenheit und die enge Zusammenarbeit mit anderen Ländern für unsere eigene Stabilität ist, zeigt sich an der Europäischen Union. Am 26. Mai findet in diesem Jahr neben den Kommunalwahlen auch die Europawahl statt. Es ist vielleicht die wichtigste aller bisherigen Europawahlen. Denn diesmal wird sich ganz grundsätzlich entscheiden, ob Europa noch die Mehrheit seiner Bürger hinter sich hat und ob wir zusammenhalten können. Es steht also ganz grundsätzlich die Zukunft Europas auf dem Spiel und damit auch der Frieden, die Sicherheit und die Freiheit, die uns das geeinte Europa in den vergangenen Jahrzehnten beschieden hat.

Der erstarkende Nationalismus in vielen Ländern Europas entwickelt sich zu einer ernsten Gefahr, zu einer echten Bedrohung – nicht nur für den Zusammenhalt, sondern ganz grundsätzlich für die Demokratie in Europa. Die Rufe nach einem „Zurück zur Nation“ werden lauter – nach einem Nationalismus, der ja überhaupt nichts mit Heimatverbundenheit, Heimatliebe oder einem gesunden Patriotismus zu tun hat, sondern der nur der Abschottung dient. Dieser Nationalismus spaltet Parteien und Gewerkschaften, Kirchen, Familien und Freundeskreise. Mit anderen Worten: Er spaltet die Gesellschaft. Das ist aber genau das, was wir nicht wollen, meine Damen und Herren, sondern wir wollen unsere Gesellschaft zusammenhalten, wir wollen das Verbindende stärken.

Dazu brauchen wir ganz offensichtlich zusätzlich zur Vernunft unseres Grundgesetzes auch Dinge, die das Herz, das Gefühl der Menschen ansprechen.  Unser Christentum  macht uns vor, wie wir genau das erreichen können: mit einem gemeinsamen Wertefundament und dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und dazu ein große Offenheit und Bereitschaft zur Weiterentwicklung – so wie wir ja die Geschichte der Geburt Jesu aus dem Lukas- und dem Matthäusevangelium weiterentwickelt haben.

Der Katholizismus, lieber Herr Pfarrer Pitzal, hat uns Protestanten da einiges voraus. Sie haben mehr Bilder und Symbole, mehr Rituale, die das Herz erwärmen. Sie können sich auf Heilige und anschauliche Geistliche berufen. Sie sprechen nicht nur den Kopf sondern auch das Herz der Menschen an. Unsere evangelischen, oftmals recht wortlastigen Gottesdienste können dagegen manchmal etwas spröde wirken – das gebe ich gerne zu,  aber wir bemühen uns!

Wenn wir einen Blick in andere Länder werfen, fällt auf, dass unsere Gesellschaft in Deutschland nicht ganz so zersplittert ist, ja vergleichsweise  noch recht homogen ist. Wenn ich an Frankreich denke, oder jetzt an Großbritannien in Zeiten des Brexit oder auch an Israel, das kulturell wie religiös eine extrem vielfältige Bevölkerungsstruktur aufweist –  Nicht umsonst wird die israelische Gesellschaft auch als „Mosaikgesellschaft“ bezeichnet – dann können wir durchaus feststellen, dass wir in Deutschland im Vergleich gut dastehen.

Doch auch wir müssen uns über verschiedene Kulturen,  Religionen und soziale Strukturen hinweg zusammenfinden. Der Landkreis Böblingen ist ja sehr vielfältig zusammengesetzt, rund 20 Prozent der Bürger hier haben einen Migrationshintergrund.

Derzeit beschäftigen wir uns in der Landespolitik mit dem Islamischen Religionsunterricht, der bislang über Modellprojekte mit muslimischen Partnern organisiert war. Leider haben die Muslimverbände das bisherige Modell aufgekündigt. Jetzt sind wir auf der Suche nach einer neuen Lösung. Denn wir wollen weiterhin unbedingt Islamunterricht in unseren Schulen unter der Aufsicht des Kultusministeriums anbieten. Wir wollen einen Weg finden für einen seriösen Islamunterricht für die jungen Muslime in unseren Schulen.

Dazu sind wir aber auf die Zusammenarbeit mit den muslimischen Religionsverbänden angewiesen und das ist in der heutigen Zeit leider eher schwerer als leichter geworden. Ich hoffe sehr, dass sich diese Religionsverbände kompromissbereit zeigen. Hier in Baden-Württemberg sind sie eher kompromissbereit aufgestellt. Aus anderen Bundesländern hören wir leider oftmals andere Töne.  Ditib in Köln beispielsweise hat kürzlich erst ausdrücklich  einem aufgeklärten, einem deutschen Islam  eine Absage erteilt.

Daran wird die besondere Herausforderung deutlich, in einer ethnisch, religiös und weltanschaulich pluralistischen  Gesellschaft zum Konsens zu finden. Aus meiner Sicht kann das Christentum mit seinem Gebot der Nächstenliebe dazu in besonderem Maß beitragen, meine Damen und Herren. Dieser verbindende Charakter christlicher Werte kommt mit „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ ja ganz besonders zur Geltung. Über zwei Jahrhunderte hinweg hat das Lied Grenzen und Krisen, ja sogar Schützengräben überwunden.

Sicherlich wurde in diesen Wochen hier an der Krippe schon mehrfach daran erinnert, dass im ersten Weltkrieg deutsche und britische Soldaten gemeinsam an Weihnachten während des „Weihnachtsfriedens“ dieses wunderschöne Lied sangen. Mittlerweile wird es in über 300 Sprachen und Dialekten gesungen, auch das zeigt die vereinende Wirkung seiner tröstenden und berührenden Worte.

Stille Nacht, Heilige Nacht – nehmen wir auch heute dieses Lied zum Anlass, einen Moment lang innezuhalten und zu nachzudenken. Und nehmen wir es zum Anlass, uns unserer gemeinsamen Werte zu besinnen und aufeinander zuzugehen.

Vielen Dank.