Rede zum Jubiläum 100 Jahre Frauenwahlrecht

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Mit der Vorbereitung auf meinen Besuch heute bei Ihnen habe ich gelernt, dass Rottweil die älteste Stadt Baden-Württembergs ist. Und auch die Geschichte Deißlingens reicht bis in die Römerzeit zurück. Ich habe auch den Eindruck, der Kreis Rottweil hat ein starkes Bewusstsein für die Geschichte und nimmt historische Verantwortung sehr ernst.

 

Die Bemühungen der Stadt Rottweil im Jahr 2015 z.B., die zahlreichen Opfer der Hexenprozesse moralisch und ethisch zu rehabilitieren, zeugt davon, dass Sie hier die Verantwortung für die eigene Geschichte auch in der Kommune ganz besonders ernst nehmen. Ich komme ja aus Leonberg im Kreis Böblingen. Auch dort prägt die Hexenverfolgung die Stadtgeschichte – ein Thema, das ein böses Schlaglicht auf die Geschichte der Frauen über Jahrhunderte hinweg wirft. In Leonberg begann 1615 der bekannte Hexenprozess gegen Katharina Kepler, die Mutter des berühmten Mathematikers und Astronomen Johannes Kepler, der sich für seine Mutter jahrelang und letztlich erfolgreich eingesetzt hatte.

 

Das Stadtzentrum von Rottweil hat sich seit dem 16. Jh. optisch vielleicht kaum verändert und ich finde, es ist mit seinen wunderschönen Fachwerkhäusern eine echte Augenweide. Aber der Kreis Rottweil hat nicht nur historische Baudenkmale zu bieten Auf dem Weg hierher habe ich den neuen ThyssenKrupp-Testturm bewundert. Er ist ein Zeichen für die moderne Entwicklung der Stadt und die Öffnung auch für Forschung & Entwicklung und deren Bedeutung für unseren wirtschaftlichen Wohlstand. Und ich beglückwünsche Sie dazu, in einem Kreis zu leben und politisch aktiv zu sein, der so viel zu bieten hat und der mit seiner Geschichte so bewusst und konstruktiv umgeht.

 

Und um Geschichte, die auch für uns in der heutigen Gegenwart bedeutsam ist, 
geht es ja auch jetzt bei Ihrer Festveranstaltung.

 

Sehr geehrte Frau Schmeh sehr geehrte Frau Merz lieber Stefan Teufel, sehr geehrter Herr Ulbrich,  meine sehr geehrten Damen und Herren,
Ich freue mich sehr, dass Sie mich, liebe Frau Schmeh, heute eingeladen haben, um gemeinsam das wichtige Jubiläum: 100 Jahre Frauenwahlrecht zu feiern.

 

Die Frauen Union in Kreis Rottweil scheint mir eine ganz besonders rührige Truppe zu sein, die auch vor schwierigen Themen nicht zurückschreckt. Das Spektrum dessen, womit Sie sich beschäftigen, ist breit und vielfältig – ganz ausdrücklich befassen Sie sich nicht nur mit den Themen, die als “typisch frauenpolitisch” gelten. Haben Sie ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie sich, gemeinsam mit der FU Südbaden, auch des so bitteren Themas der Zwangsprostitution annehmen.

Tüchtige Frauen haben hier ja durchaus Tradition: Mit Luise Rist (1877-1955) hat Rottweil eine berühmte Tochter der Stadt, eine Politikerin der frühen Stunde sozusagen: sie gehörte zur Gründerinnengeneration des Katholischen Frauenbunds in Württemberg; 1919 wurde sie für die Deutsche Zentrumspartei in den Württembergischen Landtag gewählt; 1933 wurde sie wie so viele von den Nationalsozialisten aller Ämter enthoben – Die Nazis haben ja mit ihrer Machtübernahme das passive Wahlrecht der Frauen aufgehoben, die Möglichkeiten, zu studieren eingeschränkt, Beamtinnen in Führungspositionen aus dem Staatsdienst entlassen und die Frauenverbände, wie so viele andere Vereine und Organisationen, gleichgeschaltet. 1944 kam Luise Rist im Zusammenhang mit dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler kurzzeitig sogar in “Schutzhaft“. Nach dem Krieg war sie eine der Mitbegründer der CDU Nordwürttemberg; 1925 wurde sie von Papst Pius XI. mit dem Ehrenkreuz “Pro Ecclesia et Pontifice” ausgezeichnet. 1953 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz.

 

Ohne Frauen wie Luise Rist hätten wir Frauen heute sicherlich immer noch nicht das Recht, zu wählen.

 

Aber lassen Sie mich später noch näher auf den großen Verdienst der Frauen im 19. und 20. Jahrhundert eingehen. Mit dem Reichswahlgesetz trat am 30. November 1918 in Deutschland das erste Gesetz in Kraft, mit dem Frauen das allgemeine und passive Wahlrecht bekamen. Das war also so ziemlich genau vor 100 Jahren. Ist das eine lange oder ist das eine kurze Zeit? In internationalen Vergleich finde ich das doch eine recht ansehnliche Zeitspanne Und damit meine ich nicht nur im Vergleich mit den Staaten, in denen sich Frauen noch heute massiven Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt sehen. Lassen Sie uns doch einen Blick auf unsere europäischen Nachbarn werfen:

In Frankreich durften Frauen erst nach Kriegsende 1944 wählen. Das hat mich persönlich ehrlich gesagt besonders erstaunt, denn es war mir bisher nicht bewusst.

Dass die Schweiz sehr spät dran war, war mir allerdings klar: Sie führte das Wahlrecht für Frauen erst im 1971 ein. Und Portugal war sogar nochmal fünf Jahre hinterher.
In Deutschland nahmen die Frauen also zum 1. Mal am 19. Januar 1919 an Wahlen teil – deswegen beginnen die Jubiläumsfeiern ja jetzt im Herbst und ziehen sich bis ins nächste Jahr. Und die Frauen nutzten ihr Wahlrecht ausgiebig! Ihre Wahlbeteiligung bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung lag bei 90% – diese hohe Beteiligung haben wir später nie wieder erreicht. Sie lag damals um 1,7% höher als bei den Männern.

 

Und bis heute nutzen Frauen ihr Wahlrecht genauso wie die Männer. Das zeigt die Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl und der letzten Landtagswahlen.

 

BTW 2017: 76,2%

Frauen: 76,0%

Männer: 76,3%

 

LTW 2016: 65,9%

Frauen: 64,6%

Männer: 67,3%

 

Allerdings: Im Vergleich zu den Männern nutzen Frauen das passive Wahlrecht noch nicht ausreichend. Woran liegt das? Viele behaupten, wir müssten das Wahlrecht ändern, um wirklich genügend Frauen in die Parlamente zu bekommen. Wir merken es aber jetzt wieder, wenn es an die Aufstellung der Kommunalwahllisten geht:  Es ist unendlich schwer, Frauen für eine Kandidatur zu bewegen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es maßgeblich auch an uns Frauen selbst liegt. Da hat sich viel im kulturellen Gedächtnis festgesetzt, was uns hindert, ein Mandat anzustreben.

 

 

Ich kann das an mir selber feststellen: ich sehe mich noch als 10 jähriges Mädchen mit anderen Kindern im Garten spielen. Ich sitze so mit baumelnden Beinen auf einer Schaukel, als ein Onkel aus der Verwandtschaft die typische Frage an uns Kinder richtet: Was wollt Ihr denn mal werden. Welchen Beruf wollt Ihr euch auswählen. Ich war um eine Antwort nicht verlegen. Ich wollte Pfarrer werden. Die Reaktion des Onkels ist mir aber auch noch gut in Erinnerung: “Pfarrer – das geht doch gar nicht. Du bist ein Mädchen. Deine Stimme ist gar nicht laut genug. Du könntest nie auf einer Kanzel predigen!” Dazu fiel mir damals gar nichts ein. Dass ich einen biologischen Nachteil hatte, leuchtete mir ein. Und dass es Mikrofone gibt, wusste ich damals noch nicht.

 

Zum Glück gab es im Laufe meines Lebens andere Männer wie meinen Vater oder meinen Mann, die das anders sahen und mich ermutigten. Aber ich bin sicher, ich bin nicht die Einzige, die solche Kindheitserinnerungen hat. Solche Erinnerungen prägen da Bewusstsein und werden möglicherweise auch über die Generationen hinweg weitergegeben.

 

Aber zurück zum geschichtlichen Überblick: Bis Frauen 1919 zum ersten Mal wählen durften, war es ein langer und auch beschwerlicher Weg gewesen. Schon lange Zeit davor hatten Frauen in Deutschland darum gekämpft, ihre Stimme abgeben zu dürfen. Noch im Zuge der Märzrevolution 1848 bei den Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung, den ersten gesamtdeutschen Wahlen die nach damaligem Verständnis allgemein und gleich waren; denn: alle Männer ab 25 durften wählen, aber Frauen durften nicht teilnehmen.

 

Nach dem kurzen Bestehen der Frankfurter Nationalversammlung führte Preußen 1850 das Dreiklassenwahlrecht ein, das die Wähler nach Höhe ihrer Steuerleistung einteilte. Wähler, die nur ein geringes Einkommen hatten, wurden damit bei der Stimmgewichtung benachteiligt. Und es zeichnete sich auch weiterhin keine Besserung für die Stellung der Frau ab. Ganz im Gegenteil: es wurde versucht, Frauen gezielt von der politischen Partizipation auszuschließen. Im Jahr 1850 wurde das politische Engagement von Frauen sogar per Gesetz verboten. Das Preußisches Vereinsgesetz vom 11. März 1870 verbat politischen Vereinen explizit die Aufnahme von, ich zitiere: “Frauenpersonen, Schülern und Lehrlingen” oWurde diese Regelung missachtet, wurden die Vereine und Versammlungen aufgelöst. Es gab von offizieller Seite also keinerlei Bemühungen, Frauen zu beteiligen. Das lag natürlich auch am damaligen Rollenbild um die Jahrhundertwende. Die gutbürgerliche Frau war von Beruf Gattin. Ohne die Zustimmung ihres Mannes durfte sie nicht arbeiten, nicht über ihr Geld verfügen und auch nicht ihren Wohnort bestimmen. Sie hatte sogar nicht einmal das Recht über ihre Kinder.

 

Ich erinnere mich gut, wie mich als Germanistikstudentin in dem Roman “Effi Briest” von Theodor Fontane (1894/95) besonders schockiert hatte, dass Effi ihre Tochter nach der Trennung von ihrem Mann Innstetten, diesem Prinzipienreiter, nur noch so selten sehen durfte, dass ihr das Kind ganz entfremdet wurde. “Das Einzige, was ihr als Hausfrau zustand, war die Schlüsselgewalt über die Speisekammer”, wie die Soziologin Dr. Meyer-Renschhausen einmal in der “Zeit” schrieb (12.07.2013).

 

Aber: Immer mehr Frauen wehrten sich, kämpften für Mitbestimmung und Gleichberechtigung. Nicht nur für das Wahlrecht, sondern es gab auch Bewegungen, um die Lebensumstände von Frauen zu ändern und zu verbessern.

 

Lassen Sie mich ein paar herausragende Frauen nennen, denen wir maßgeblich das 100-jährige Bestehen des Frauenwahlrechts zu verdanken haben. Und dabei ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir das Thema nicht nur den Linken, heute der SPD oder den Grünen überlassen dürfen. Auch bürgerliche Frauen kämpften in der Geschichte heftig für die Rechte der Frauen

 

Zum Beispiel Louise Otto-Peters (1819-1895). Mitbegründerin der bürgerlichen Frauenbewegung; forderte im Jahr 1849, dass Frauen bei Gesetzen, die sie betreffen, mitentscheiden dürfen und dass sie bei der Wahl der “Vertreter des Volkes” mitwählen dürfen.

 

Clara Zetkin (1857-1933) Eine der großen deutschen Frauenfiguren, anfangs SPD, ab 1917 USPD, später KPD, eine der ersten 13 Politikerinnen in der Landesversammlung Württemberg 1919/20. 1920 – 1933 für die KPD im Reichstag der Weimarer Republik. Schon 1891 wurde die Forderung nach dem Frauenwahlrecht in das Erfurter Programm der SPD aufgenommen. Aber Clara Zetkin hat das Frauenwahlrecht den allgemeinen, besonders den ökonomischen Rechten der Frauen – und die sah sie im Zusammenhang mit dem Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit – untergeordnet.

 

Hedwig Dransfeld (1871-1925) Erste Vorsitzende des Katholischen Frauenbundes; eine der wenigen Frauen aus dem bürgerlichen Lager, die 1919 in die Nationalversammlung gewählt wurden; gehörte dem Zentrum an; Mitinitiatorin der Frauenfriedenskirche in Frankfurt/Main; trat seit 1906 für die Rechte der Frauen und deren gesellschaftlich-politische Vertretung ein; damals viele Männer im Krieg gefallen war sich der politischen Bedeutung/Macht der Frauen bewusst, mahnte aber auch Verantwortung an.

 

Helene Weber (1881-1962) gehörte dem Zentrum an; 1948 erste Vorsitzende der Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU/CSU; nach ihr ist der Helene-Weber-Preis benannt, eine Auszeichnung für Frauen, die sich auf kommunaler Ebene politisch engagieren (wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend alle zwei Jahre ausgeschrieben).

 

Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden die ersten Wahlrechtsvereine. Der Verein “Frauenwohl” organisierte am 2. Dezember 1894 eine öffentliche Versammlung zum Thema “Die Bürgerpflicht der Frau“; 1902 gründeten drei Frauenrechtlerinnen den “Deutschen Verein für Frauenstimmrecht” zu einer Kundgebung dieses Vereins in Berlin kamen tausend Frauen und Männer; 1904 fand in Berlin die Gründungskonferenz des “Weltbundes für das Frauenstimmrecht” statt, Teilnehmerinnen aus 8 Ländern. Bis 1904 gab es in Deutschland also drei Vereine für das Frauenwahlrecht, die sich später zum “Deutschen Verband für Frauenstimmrecht” zusammenschlossen.

 

Das Vereinsrecht lockerte sich mittlerweile zunehmend; Frauen durften an Veranstaltungen von Parteien und Organisationen teilnehmen. Aber: durften sich nur innerhalb eines durch ein rotes Seil abgetrennten Bereiches aufhalten; Sie durften von dort aus zuhören, aber sich nicht äußern.
 Am 15. Mai 1908 hob man das Preußische Vereinsrecht ganz auf. Die Mitgliedschaft für Frauen in Parteien und politischen Organisationen wurde rechtmäßig.

 

Noch heute wird immer am 8. März der internationale Frauentag begangen – er geht zurück auf den ersten internationalen Frauentag 1911 gingen mehr als eine Million Frauen auf die Straße und forderten soziale und politische Gleichberechtigung. Der Frauentag wurde damals gleichzeitig in Deutschland, Dänemark, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert. Die Idee dazu kam auch aus den USA Idee war im Umfeld von Arbeiterinnenstreiks entstanden Aber: noch im Mai 1918 lehnten das Preußische Abgeordnetenhaus das gleiche Wahlrecht ab. Nachdem sich aber im Sommer 1918 der militärisch Zusammenbruch abzeichnete und Philipp Heinrich Scheidemann am 9. November des gleichen Jahres die deutsche Republik ausgerufen hatte, stellte der Rat der Volksbeauftragten am 12. November sein Regierungsprogram vor – darin enthalten ein Wahlrecht für alle Frauen und Männer ab 20 Jahren!

 

Der Katholische Frauenbund formulierte daraufhin grundlegende Leitsätze zur politischen Teilhabe, u.a.: “Aktives und passives Frauenwahlrecht im Reich, in den Bundesstaaten und in der Gemeinde.”
 Am 30. November wurde dann die Proklamation über das allgemeine Wahlrecht in der Verordnung über die Wahl zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung verankert: “Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten” (Artikel 109, Absatz 2, Weimarer Verfassung). Nach den noch heute gültigen Grundsätzen: gleich, geheim, direkt und allgemein.

 

Meine Damen und Herren, sie sehen, es war ein langer und steiniger Weg für die Frauen im Kampf um (politische) Gleichberechtigung. Dass wir in diesem Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern, ist dem unermüdlichen Einsatz der Frauen und ihrer Vereine zu verdanken, die sich gegen alte Rollenbilder wehrten und für ihre Rechte kämpften. Zwar war das Frauenwahlrecht ein großer Erfolg, doch wir dürfen nicht vergessen, dass Frauen in anderen Bereichen in Deutschland noch lange benachteiligt waren.

 

Für meine Generation ist das noch gar nicht so weit weg: Meine eigene Großmutter, geb. 1912, hatte zwar einen Beruf erlernt, aber wir Enkel wussten noch in den 1960er und 70er Jahren: Es war etwas ganz Besonderes, von ihr ein kleines Geschenk zu erhalten, denn sie verfügte über kein eigenes Geld und musste für jeden Einkauf bei meinem Großvater vorstellig werden – oder es sich vom sogenannten “Nadelgeld” absparen.
Zwar trat Ende der 50er Jahre das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft. Damit wurde z.B. das Recht des Ehemanns aufgehoben, ein Arbeitsverhältnis seiner Frau fristlos zu kündigen – aber es dauerte lange, bis sich dieses Gesetz im alltäglichen Leben der Familien durchsetzte. Und erst 1977 verabschiedete man sich mit der Reform des Ehe- und Familienrechts vom Leitbild der Hausfrauenehe oSeitdem kann auch der Name der Frau gemeinsamer Familienname werden. Im Jahr 1980 trat das Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz in Kraft, dass z.B. das Recht auf gleiches Entgelt festschrieb oDie tatsächliche Gleichbehandlung haben wir ja leider heute, rund 40 Jahre später, immer noch nicht erreicht. 1994 wurde Artikel 3 im GG ergänzt. Zwar lautete Artikel 3 auch zu damaliger Zeit: “Männer und Frauen sind gleichberechtigt.” Dennoch schien eine Ergänzung in Absatz 2 notwendig: “Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.”

Wo stehen wir heute, meine Damen und Herren?
m Bund steht mit Angela Merkel seit der BTW 2005 eine Frau an die politische Spitze in Deutschlang – das ist auch im Vergleich innerhalb Europas immer noch etwas Seltenes.

 

Im Landtag in Baden-Württemberg haben wir nun immerhin zwei Frauen an der Spitze des Parlaments Frau Aras als Präsidentin, mich als Vizepräsidentin. Und auch in der Landesregierung sind die Frauen gut vertreten als Ministerinnen und Staatssekretärinnen. Aber ich kann es nicht beschönigen: wir haben einen sehr geringer Frauenanteil im Parlament. Unter den 143 Abgeordneten im Landtag sind 37 Frauen, das sind gerade einmal 25,9 %.

 

Ich habe es ja anfangs schon angedeutet: Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass wir das Problem mit einer Wahlrechtsänderung beheben könnten.  Und so lange mir niemand nachweisen kann, dass wir durch eine Wahlrechtsänderung wirklich mehr Frauen in den Landtag bekommen, halte ich es für heikel, an unserer Landesverfassung herumzudocktern und auf gut Glück das Wahlrecht zu ändern. Denn unser Wahlsystem wurde damals 1953 ganz bewusst so festgelegt wie es heute ist, nämlich um zu verhindern, dass nur Parteifunktionäre auf den Listen stehen.
Unser Wahlrecht ist demokratisch, direkt und nah am Bürger.
Es schafft größtmögliche Nähe zwischen den Menschen im Wahlkreis und ihren Abgeordneten. Denn die Wähler wählen ihre Kandidatin direkt; im Parlament sind nur diejenigen vertreten, die sich vor Ort dem Wettbewerb gestellt und ihre Wähler überzeugt haben; stehen gegenüber ihren Wählern direkt in der Verantwortung; scheidet ein Abgeordneter aus dem Mandat aus, zieht sein ebenfalls direkt im Wahlkreis nominierter Zweitkandidat ein, kein Zufallsnachrücker.
Ein Listenwahlrecht garantiert nicht automatisch die höhere Beteiligung von Frauen in den Parlamenten. Im Deutschen Bundestag, der mit einem Zweistimmenwahlrecht mit Landeslisten gewählt wird, sind nur drei der 38 CDU-Abgeordneten aus Baden-Württemberg Frauen. Insgesamt liegt der Frauenanteil in der CDU/CSU-Fraktion knapp unter 20%. In der Legislatur zuvor hatten wir im Bundestag 24,8 %. 
Im EU-Parlament liegt der Frauenanteil bei 36%. Und auch in den Kommunen mit ihren Kandidatenlisten ist es schwer, Frauen für ein politisches Engagement zu gewinnen. Wahrscheinlich können Sie derzeit selber wieder ein Lied davon singen. Wobei ich finde, dass Sie hier in Rottweil und Deißlingen ganz gut dastehen: Gemeinderat Rottweil: 22 Männer, vier Frauen (Frauenanteil ca. 18%),
davon zwei Frauen in der CDU-GR-Fraktion. Gemeinderat Deißlingen 
14 Männer, vier Frauen (Frauenanteil ca. 22%), davon zwei Frauen von der CDU Sie kennen ja, liebe Frau Schmeh, als Gemeinderätin hier in Deißlingen die Verhältnisse besser als ich. Und wie sieht es mit dem passiven Wahlrecht bei den Bürgermeisterinnen aus? Sie werden ja direkt vom Volk gewählt. Der Anteil der Bürgermeisterinnen in Baden-Württemberg lässt auch zu wünschen übrig. Hier im Landkreis Rottweil sind Sie, Frau Merz, ja auch die einzige Bürgermeisterin. In unseren 1101 Kommunen gab es im September 2017 83 Bürgermeisterinnen, d.h. 7,5 % der Stadtoberhäupter sind weiblich. Darunter sind sieben Oberbürgermeisterinnen und 76 Bürgermeisterinnen.

 

Wir müssen einfach dafür sorgen, dass sich mehr Frauen zum Mitmachen bereit erklären, auf allen Ebenen. Und ich möchte an dieser Stelle der Frauen Union herzlich für ihr großes Engagement danken. Sie setzen sich schon lange und ganz aktiv dafür ein, mehr Frauen für die Politik zu gewinnen.

 

Bitte lassen Sie nicht nach!

 

Besonders jetzt im Vorfeld der Kommunalwahlen müssen wir Frauen dazu motivieren, sich in den kommunalen Gremien zu engagieren. Natürlich spielen auch die Rahmenbedingungen eine Rolle. Aber ich finde, da sind wir schon sehr gut voran gekommen, wenn ich die Kinderbetreuungsmöglichkeiten u.v.m. heute betrachte. Da ändert sich auch viel in den Köpfen: Mein Mann z.B. in Forstamtsleiter im Enzkreis – die Forstwirtschaft ist ja herkömmlich ein typisch männlich geprägtes Berufsfeld. Mal abgesehen davon, dass dort jetzt auch Frauen ihren Weg gehen, gibt es immer mehr junge Männer, die Elternzeit beantragen. Das höre ich z.B. auch aus der Polizei. Diese Männerdomänen werden jetzt viel stärker als früher mit der Frage von Vereinbarkeit von Familie und Beruf konfrontiert und es ist sehr heilsam, wenn auch Männer sagen, dass sie einen Termin um eine bestimmte Uhrzeit nicht einhalten können, weil sie morgens die Kinder in die Kita bringen oder abends zum Fußballtraining fahren müssen.

 

Auch die Frauen müssen sich umstellen: Man bekommt ein politisches Mandat nicht auf dem Silbertablett serviert – man muss darum kämpfen. Und wenn man es hat, ist es nicht unbedingt gemütlich. Da dürfen wir dann nicht empfindlich sein – es gibt nicht nur Gentlemen in der Politik. Und die freie und private Zeit wird sehr, sehr knapp, das weiß ich nur zu gut aus eigener Erfahrung. Liebe Frau Schmeh, meine sehr geehrten Damen, Ihre heutige Veranstaltung dient dazu, all denen Respekt zu zollen, die für uns den Weg bereitet haben. Die politische Beteiligung und das Wahlrecht für Frauen sind hart erkämpft.

 

Es ist unsere Aufgabe, dieses historische Erbe zu wahren und fortzuschreiben und nicht verkommen zu lassen. Das ist wichtig für die Demokratie insgesamt. Ich mache mir zur Zeit durchaus Sorgen, denn es scheint mir manchmal so, als würden viele Menschen denken, die Demokratie sei ein Naturgesetz. Aber allgemeine und freie Wahlen, die Grundrechte, die Gewaltenteilung mit der Kontrolle der Regierung durch das Parlament und einer unabhängigen Justiz – all das muss gepflegt und bewahrt werden und jede Generation muss sich neu darum bemühen. Lassen Sie uns also gemeinsam dafür sorgen, dass diese Errungenschaften nicht ungenutzt bleiben und dass gerade der große Einsatz unserer Vorgängerinnen für die Rechte der Frauen nicht umsonst war. Ich bin davon überzeugt, dass die FU hier im Kreis Rottweil dazu einen besonders starken Beitrag leistet und lassen Sie mich das auch sagen: Ich bin davon überzeugt, dass Sie mit Ihrem Abgeordneten Stefan Teufel einen ernsthaften Mitstreiter an der Seite haben. Er ist ja unser sozialpolitischer Sprecher in der CDU-Landtagsfraktion und stv. Fraktionsvorsitzender. Ihm liegen also die Themen, die gerade auch die FU immer wieder aufgreift: Kinder, Familie, Pflege von Angehörigen, Gesundheitswesen, besonders nah und, das darf ich Ihnen sagen, meine Damen, er gehört auf jeden Fall zu den Gentlemen in der Politik. Sie sind also hier im Landkreis sehr gut aufgestellt! Bleiben Sie so aktiv wie bisher! Lassen Sie sich nicht unterkriegen und bleiben Sie fest und geschlossen, denn: nur gemeinsam sind wir stark, das haben auch die Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht mit ihren Vereinen und Aktivitäten gezeigt.

 

Jetzt wünsche ich Ihnen zuerst einmal viel Erfolg für die Kommunalwahlen und uns in der FU mit Inge Gräßle an der Spitze auch viel Erfolg für die Europawahlen! 
Herzlichen Dank für Ihre Einladung und herzlichen Dank dafür, dass Sie mir zugehört haben.