Rede zum Jahresauftakt des Wirtschaftsrats Böblingen „Wirtschaft meets Kunst“ am 21. Januar 2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich freue mich sehr, dass ich beim Neujahrsempfang des Wirtschaftsrats wieder mit dabei sein kann und bedanke mich sehr herzlich für Ihre Einladung.
Vor allem freue ich mich, dass wir hier gemeinsam in Dätzingen in der Galerie Schlichtenmaier und im Malterserschloss sein können.
Ich erinnere mich noch gut an das 50-jährige Jubiläum Ihrer Galerie,
lieber Herr Dr. Schlichtenmaier,
das wir hier so schön im Juni 2019 im Innenhof gefeiert haben – es kommt mir wie gestern vor, aber tatsächlich war es noch vor der Corona-Pandemie, die eine starke Zäsur darstellte auch und gerade für den Kulturbereich und ein bisschen unsere neue Zeitrechnung bildet.
Sie haben mir, lieber Herr Dr. Sommer, heute ein überaus komplexes Thema gestellt: Ich soll über Wirtschaft und Kunst sprechen und zusätzlich die Beziehung zur Politik beleuchten – und das Ganze in höchstens zwanzig Minuten. Ich will gerne dazu einige Gedanken mit Ihnen teilen.
Meine Damen und Herren,
Vielleicht haben Sie auch am zweiten Adventswochenende verfolgt, dass die weltberühmte Pariser Kathedrale Notre-Dame wieder eröffnet wurde und jetzt in neuem Glanz erstrahlt, nachdem sie im April 2019 von einem Großbrand verwüstet wurde.
Der Dachstuhl, Teile des Gewölbes, der berühmte Vierungsturm wurden zerstört.
Und an den öffentlichen Reaktion konnte man sehen: Bei dieser Kathedrale handelt es sich nicht nur um „ein paar Steine und ein bisschen Kunst“.
Nein, die Notre Dame war und ist weit mehr: Sie ist Teil der kulturellen Identität Frankreichs, ein Wahrzeichen und eine Ikone.
Das ist auch bei anderen Kathedralen ähnlich: Kathedralen und Dome waren über die Jahrhunderte hinweg geistliche, aber auch kulturelle Kristallisations- und Anziehungspunkte.
Sie sind Meisterwerke der Architektur.
Sie waren aber auch stets Ausdruck politischer – und das hieß früher eben auch kirchlicher – Macht und Ergebnis wirtschaftlicher Anstrengungen.
In Ihnen treffen also Kunst, Wirtschaft und Politik aufeinander.
Der Schock über den Großbrand der Notre Dame setzte daher auch gewaltige Kräfte in Wirtschaft und Politik frei: 840 Millionen Euro wurden gespendet.
Sehr schnell – innerhalb von fünf Jahren – wurde das Kunstwerk renoviert und am 7. Dezember 2024 neu eingeweiht.
Die Kathedrale wird in den kommenden Jahrzehnten wieder riesige Besucherscharen anziehen.
Bei diesem Kunstwerk der Architektur handelt es sich also auch um einen Wirtschaftsfaktor, der jeden Tourismuspolitiker erfreut.
Meine Damen und Herren:
Frankreich mag aktuell kein politisches Vorbild sein, aber in dieser Hinsicht könnten wir uns in Deutschland doch eine Scheibe abschneiden. Den Kraftakt der Reparatur dieser gewaltigen Kathedrale in fünf Jahren über die Bühne zu ziehen, das verdient Bewunderung.
Statt immer nur „Geht nicht!“, „Klappt nicht!“ zu sagen, sollten wir auch öfter
einfach mal machen!
Das ist eine berechtigte Forderung, die gerade auch die Wirtschaft derzeit vehement vorträgt und der wir uns in der Politik annehmen müssen.
Lassen Sie uns die Beziehungen von Kunst, Wirtschaft und Politik noch ein wenig weiter betrachten. Und lassen Sie mich dazu
drei Thesen in den Raum stellen:
- Wirtschaft und Kultur profitieren voneinander
- Und zweitens: Die Politik hat ein Interesse daran, Kunst und Kultur zu fördern
- Und drittens: Kunst und Kultur sind in weiten Teilen auf die Unterstützung durch Politik und Wirtschaft angewiesen. Ja, Aber Kunst ist auch selber ein Wirtschaftsfaktor.
Zu 1. Wirtschaft und Kunst profitieren voneinander – dazu will ich mich kurz halten.
Denn spätestens seit Ministerpräsident Lothar Späth hat sich in Baden-Württemberg die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kultur ein Standortfaktor ist.
Ein starker Kultursektor hilft der Wirtschaft bei der Fachkräftegewinnung. Kunst und Kultur sorgen für ein attraktives gesellschaftliches Umfeld, das dem Wirtschaftsstandort gut tut.
Außerdem ergeben sich Synergieeffekte mit anderen Branchen: Den Tourismus habe ich eben schon genannt. Dazu gehören die Hotellerie, die Gastronomie, u.v.m.
Umgekehrt sorgt eine starke Wirtschaft für attraktive Arbeitsplätze und gute Einkommensmöglichkeiten. Davon wiederum profitiert die Kunst. Oder auch der Kunsthandel, wie Herr Schlichtenmaier sicherlich bestätigen wird.
Zu 2. Politik hat ein Interesse daran,
Kultur zu fördern
Denn aus dem Gesagten ergibt sich ganz selbstverständlich, dass die Landesregierung ein Interesse daran hat, Kunst und Kultur zu fördern.
Wie selbstverständlich das für die baden-württembergische Politik mittlerweile geworden ist, zeigt sich bspw. daran, dass wir in der Corona-Pandemie eigene Programme aufgelegt haben, um auch Kultureinrichtungen und Kulturschaffende zu unterstützen uns außerdem auch
Diese Programme richteten sich übrigens auch an Vereine der Breitenkultur.
Darin wird unsere Überzeugung deutlich: Spitze braucht Breite.
Wenn wir Spitzenkunst erreichen wollen, müssen wir früh anfangen, auch Kinder und Jugendliche kulturell zu fördern und in der Breite der Bevölkerung ein Kulturinteresse anzulegen.
Nicht unerwähnt will ich hier lassen:
Es sind die Kommunen, die bei uns in BW das Gros der kulturellen Förderung leisten. Denken Sie an die Jugendmusikschulen, an die Kunstvereine (auch hier in Grafenau), an die Laientheater, die Chöre und Orchester, die Büchereien, die kulturelle Bildung in den Schulen. Das alles sind Freiwilligkeitsleistungen der Kommunen.
Deswegen ist es derzeit so gefährlich, dass die Kommunen aktuell so laut über finanzielle Überforderung klagen, dass sie kaum ihre Pflichtaufgaben erfüllen können.
Deswegen war es so wichtig, dass die Koalitionsfraktionen sich im vergangenen Herbst auf ein Sofortprogramm für die Kommunen geeinigt haben und zusätzliche Mittel zur Unterstützung der Städte und Gemeinden eingestellt haben für Krankenhäuser, den Schulhausbau, für die Betreuung von Geflüchteten, u.v.m.
Im Doppelhaushalt 2025/26, den wir vor Weihnachten verabschiedet haben, gab es zum Glück keine Streichungen im Kulturhaushalt des Landes.
Dieser Etat steigt sogar um knapp 5 % im Vergleich zum letzten Haushaltsjahr auf jetzt 530 Mio. Euro.
Aber natürlich lässt sich das für die Zukunft nicht garantieren und die Diskussion nicht zuletzt um die Renovierung der Oper in Stuttgart zeigt die Problematik der kleiner werdenden finanziellen Spielräume. Diese Diskussion zeigt aber auch die schwindende Akzeptanz in weiten Teilen der Bevölkerung für teure Kultureinrichtungen.
Es ist wirklich ein großer Kraftakt für das Land, diese baulichen Investitionen zu schultern.
Ein großer Teil unserer Theater und Museen befindet sich in historischen Gebäuden.
Aktuell müssen wir hohe Summen für das Literaturarchiv in Marbach aufbringen.
Das Badische Staatstheater in Karlsruhe und das Nationaltheater Mannheim befinden sich gerade im Umbau.
Es gibt immer wieder auch Privatpersonen, Unternehmen und Institutionen, Banken und Stiftungen, die viel für die Kulturförderung leisten. Das ist gut und wertvoll!
Aber, meine Damen und Herren, dadurch dürfen keine Abhängigkeiten entstehen.
Wir befinden uns hier ja in einem Schloss, das mal in Ordens-, mal in königlichem und mal in fürstlichem Besitz stand.
Ähnlich wie die Kirche und ihre Orden haben im Lauf der Geschichte Fürsten, später auch reiche Kaufleute Kunstwerke in Auftrag gegeben oder als Mäzenaten gefördert.
Aber damit war natürlich immer eine Erwartung, eine Gegenleistung verbunden, die meistens der eigenen Machtstabilisierung dienen sollte.
Es ging um eine wirtschaftliche Beziehung, um Leistung und Gegenwert,
um Auftrag und Bezahlung.
Dieses Verständnis verträgt sich aber nicht mit unseren heutigen Werten von Demokratie und Kunstfreiheit.
Die Unabhängigkeit von Kunst und Kultur ist im Grundgesetz in Artikel 5 garantiert:
„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“
Die Förderung durch den Staat soll daher eine Unabhängigkeit der Kulturschaffenden vom Markt ermöglichen.
Natürlich greifen öffentliche und private Förderung ineinander. Der Staat unterstützt private Förderung ja auch beispielsweise durch Steuervergünstigungen oder verpflichtet bspw. Unternehmen zu Abgaben für die Künstlersozialkasse.
Aber was die Freiheit anbelangt, so sehe ich hier durchaus eine Parallele zwischen dem Verhältnis von Politik und Kultur und von Politik und Wirtschaft:
Auch die Wirtschaft braucht freiheitliche Rahmenbedingungen, um sich zu entfalten.
Über die Forderung nach möglichst wenig Bürokratie habe ich ja im Zusammenhang mit der Notre Dame schon gesprochen.
Ich weite das gerne auch aus auf technische und technologische Vorgaben.
Auch hier sollten wir dem Sachverstand der Fachleute und dem kaufmännischen Interesse der Wirtschaft vertrauen.
Zu 3. Kultur ist ein eigener Wirtschaftsfaktor
Meine dritte These lautet, dass Kultur mittlerweile nicht mehr nur ein Standortfaktor sondern auch selber ein Wirtschaftsfaktor ist.
Wir sprechen dabei gerne von der Kreativwirtschaft.
Dazu zählen viele Teilbereiche:
Architektur, Design, Software/Games, Musik, Film , Kunstmarkt, Darstellende Kunst, Presse, Buch, Werbung .
Lassen Sie mich kurz auf ein besonderes Beispiel aus Baden-Württemberg eingehen.
Im Rahmen unserer Bemühungen, die Bioökonomie voranzubringen
hat unser Ministerium das sog. Technikum Laubholz in Göppingen aufgebaut.
Hintergrund ist, dass wir unsere Wälder schon lange umbauen zugunsten von stärker gemischten Wäldern, mehr Laubholz statt Fichte/Tanne;
In Zeiten des Klimawandels kommt diesem Waldumbau eine noch stärkere Bedeutung zu.
Unser Ziel ist es, stabile Wälder aufzubauen, die den Extremwetterereignissen wie Dürre und Sturm gewachsen sind, die durch ihre Vielfalt auch der Biodiversität dienen.
Um den Rohstoff Holz auch in Zukunft nutzen zu können und zwar nicht nur als Baustoff, wird in diesem Technikum Laubholz daran geforscht, wie man z.B. Buchenholz aufschlüsseln und daraus Carbonfasern herstellen kann.
In Göppingen steht also eine Pilotanlage, in der aus der Cellulose von Laubholz ein vielseitiger, regionaler, nachwachsender Rohstoff hergestellt werden kann und dabei auch das in Holz gespeicherte CO2 weiter gebunden werden kann.
Man kann diese Carbonfasern auch für die Textilherstellung nutzen und damit an die früher in BW sehr stark verbreitete Textilwirtschaft anknüpfen.
Aus diesen Ideen ist dann zusammen mit verschiedenen Unternehmen und mit Studierenden der Hochschule Reutlingen aus dem Fachbereich Fashion & Textile Design eine Modekollektion entstanden.
Ich habe mir die letzte Woche gemeinsam mit Min. Peter Hauk angeschaut und war extrem begeistert. Die verantwortliche Studiendekanin war früher bei BOSS für das Design zuständig und lehrt nun in Reutlingen.
Die Kollektionen haben dann bei der Fashion Week in Berlin im Rahmen der Neo.Fashion.2024 viel Aufmerksamkeit erregt. Ich kann Ihnen sagen: sie sind extrem kreativ gestaltet und atemberaubend schön!
An der Produktion der Stoffe aus dem Zellstoff waren übrigens eine Spindelfabrik in Süßen und die Textilfirma Trigema beteiligt.
Es gab hier also ein großartiges Zusammenspiel zugunsten von Innovation.
Daran waren Kreative gemeinsam mit Forschung und Lehre, Wirtschaft und Politik beteiligt.
Ich erzähle dieses Beispiel so gerne, weil ich es so ermutigend finde und weil wir hier so ein gewinnbringendes Cross-over von Industrie und Kreativität haben.
Ein perfektes Beispiel von Wirtschaft meets Kultur und ich könnte noch weitere erzählen.
Aber ich komme zum Schluss,
meine Damen und Herren.
Eingangs sprach ich von der Notre Dame in Paris, von diesem bewundernswerten Zeugnis sakraler Kunst.
Gelandet sind wir bei der modenen Bioökonomie und der kreativen Modeschöpfung an der HAW Reutlingen im Zusammenspiel mit dem von unserem Ministerium auf den Weg gebrachten Laubholztechnikum.
Und sowohl in historischen Zeiten als auch heute spielte die Wirtschaft eine bedeutsame Rolle bei den Kunstwerken.
In den mittelalterlichen Bauhütten an den Kathedralen ging es um Handwerkskunst, die wir auch heute noch sehr zu schätzen wissen und dringend benötigen.
Heute sieht die Kunst ihre Aufgabe nicht mehr in der Verherrlichung Gottes oder darin, einem Mäzen zu gefallen.
Kunst genießt bei uns grundgesetzlich garantierte Freiheit.
Das hindert sie aber nicht daran, sich den Fragen der Zeit zu widmen und gemeinsam mit der Wirtschaft und mit Unterstützung der Politik Innovationen mit gestalten, die uns allen zu Gute kommen.
Deswegen, meine Damen und Herren, sind wir auch heute auf Kunst, Kultur und Kreativität angewiesen.
Die Politik tut gut daran, sie zu fördern.
Die Wirtschaft tut gut daran, sich von ihr inspirieren zu lassen.
Das Geld, das wir in Kunst investieren, ist gut investiertes Geld, meine Damen und Herren. Hoffen wir, dass unser Wohlstand weiterhin so hoch bleibt, dass wir dieses Geld aufbringen können.