Rede zum Jahresauftakt des Wirtschaftsrats Böblingen 30.01.2024
Sehr geehrte Mitglieder des Wirtschaftsrats, liebe Gäste
Vielen Dank für Ihre Einladung zum Jahresauftakt des Wirtschaftsrats hier in unserer Sektion.
Der 30. Januar ist noch ein passender Zeitpunkt, Ihnen allen meine besten Wünsche für ein gelingendes Jahr 2024 auszusprechen.
Möge vieles so kommen, wie wir es uns erhoffen und Gottes Segen über Ihrem Tun und Handel liegen.
Ich glaube, wir alle verbinden mit dem neuen Jahr die Hoffnungen auf Besserung in vielen Bereichen und wollen das Unsere dazu beitragen.
Tatsächlich sind wir alle sehr gefordert. Gerade in der Wirtschaftspolitik sehen wir große Herausforderungen.
Wir müssen uns gemeinsam diesen Herausforderungen mit Tatkraft und Zuversicht annehmen.
Lassen Sie uns versuchen, mal die Ausgangslage zu betrachten, an der wir zu Beginn des Jahres stehen.
Wie geht es uns denn zum Jahresbeginn?
der Glücksatlas (bis 2021 von der Dt. Post, ab 2022 von der Süddeutschen Klassenlotterie herausgegeben) bescheinigt uns Deutschen für 2023 ein stärkeres Glücksgefühl als im Jahr zuvor.
Auf der Skala von 0 – 10 liegen die Deutschen jetzt bei 6,9.
In Baden-Württemberg liegen wir mit 6,88 etwas niedriger und damit auf dem 8. Platz unter den Bundesländern.
Das ist schon eine kleine Verbesserung zum Vorjahr (6,8).
Vor der Coronapandemie lagen wir bei 7,21.
In der Coronazeit ging das Glücksempfinden bei den Baden-Württemberger auf 6,61 zurück.
An diesen Zahlen erkennen Sie: die Coronapandemie ist noch nicht überwunden.
Für viele war es eine fast traumatische Erfahrung. Viele leiden noch heute an Folgeerscheinungen. Aber wir sind auf dem Weg der Gesundung. Das ist also ein positiver Ausblick auf das neue Jahr.
In der Zwischenzeit ist aber leider viel dazu gekommen, was die Menschen belastet.
Danken wir an den russischen Überfall auf die Ukraine und diesen zermürbenden Krieg, der seither herrscht.
Dazu belastet uns, was in Israel, was im nahen Osten geschieht. Es scheint ein schier unlösbares, traumatisches Problem zu bleiben.
Dazu kommt natürlich, was jeden Einzelnen von uns bedrückt:
schwache Auftragslage,
steigende Zinsen,
Fachkräftemangel,
neue Vorschriften der EU,
hohe Energiepreise,
ehrgeizige Umweltziele und zu all dem eine Bundesregierung, der man beim Streiten zusehen muss.
82 % der Deutschen (Infratest Dimap, Jan. 24) sind mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden.
Das sollte in diesem Jahr unbedingt besser werden. Denn es belastet unsere Demokratie insgesamt und grundsätzlich. Ich komme darauf nachher noch einmal zurück.
Das Motto Ihres Jahresempfangs zielt auf „wahre Werte in Zeiten der Inflation“. Dabei haben Sie natürlich eher materielle Werte im Auge: Oldtimer, Gold und Schmuck, Kunstwerke vielleicht. Aber ich bin davon überzeugt: wir brauchen gerade jetzt ideelle Werte.
Denn die Wirtschaft gedeiht am besten in einer liberalen Demokratie. Wir müssen uns in 2024 dringend wieder an das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft erinnern.
Denn, meine Damen und Herren, Sie in der Wirtschaft brauchen unser bewährtes und verlässliches, unser freiheitliches und demokratisches Klima, um in Ruhe, mit Kreativität und dann auch mit Erfolg Ihren Geschäften nachzugehen.
Und dafür brauchen wir alle wieder mehr Freiheit und Selbstverantwortung,
mehr Leistungsbereitschaft und eine stabile Solidargemeinschaft.
Natürlich brauchen wir auch ordnungspolitische Leitplanken durch den Staat – aber eben keine überbordende Bürokratie.
All das scheint derzeit aber aus den Fugen zu geraten.
Besonders schlimm ist, dass sich die Bevölkerung so verunsichert fühlt und dabei gleich unser demokratisches System insgesamt in Frage zu stellen scheint.
Bei der schon zitierten Umfrage von Infratest Dimap vom Januar 2024 geben
56 % der Befragten an, dass sie unzufrieden oder beunruhigt sind über die Lage im Land,
nur 43 % sind zufrieden mit der Demokratie.
Demonstrationen, Kundgebungen und Streiks machen das derzeit sehr deutlich.
Landwirte, Zugführer, Klimakleber, und dazu kommen jetzt Demonstrationen gegen Rechts.
All das sind Kennzeichen für tiefgreifende Spaltungen in unserer Gesellschaft.
Der Zusammenhalt kommt uns abhanden. Die Schnittmenge von gemeinsamen Meinungen und Auffassungen wird kleiner.
Das ist fatal für unsere Demokratie. Denn unser System beruht auf Konsens und Kompromiss.
Dazu kommt: Unser Staatswesen beruht auf Voraussetzungen, die es selbst nicht schaffen kann (Böckenförde).
Unsere Werte können nicht von Staats wegen verordnet werden.
Wir brauchen dafür gesellschaftliche Kräfte wie Verbände und Vereine,
den Wirtschaftsrat und die Gewerkschaften,
Organisationen wie Rotary und Lions, und nicht zuletzt unsere Kirchen und Glaubensgemeinschaften, die sich gemeinsame Werte vereinbaren und Gemeinsamkeiten innerhalb der Gesellschaft suchen.
Die ev. Kirche hat als Jahreslosung für 2024 herausgegeben: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“. Damit ist gemeint: alles, was wir tun, sollen wir mit Respekt vor dem Anderen und im Sinne des Gemeinwohls angehen.
Aber parallel dazu stellen wir leider fest, dass auch die Ev. Kirche ihre Autorität verspielt durch den Umgang mit Missbrauch von Kindern – meine Damen und Herren, das ist ganz und gar fatal!
Kinder sind das Beste, was wir haben. Ihnen wollen wir unsere Werte weitergeben. Gerade sie müssen wir fürsorglich beschützen und zu engagierten Bürgern unseres Landes erziehen.
Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Eltern und Staat, der wir uns auch im kommenden Jahr stellen.
Ich hoffe, dass wir die Aufgaben zur Schulstruktur, die sich jetzt durch den Volksantrag zum neunjährigen Gymnasium wieder stellen, in dem partei- und fraktionsübergreifenden Konsens lösen werden, der jetzt von allen beschworen wurde. Die schulische Bildung hätte es verdient, nicht zuletzt, wenn wir die jüngsten Pisaergebnisse wieder anschauen.
Meine Damen und Herren, der Befund zu Beginn des Jahres 2024 ist also nicht rosig. Wir fühlen uns in einer misslichen Lage.
Vielleicht objektiv etwas weniger als subjektiv.
Aber man weiß ja nie genau, an welchem Punkt innerhalb einer Entwicklung man sich gerade befindet. Sind wir schon am Wendepunkt hin zum Besseren oder noch auf der abschüssigen Bahn.
Man weiß auch historisch nie genau, an welchem Punkt man sich befindet.
Ist es hysterisch, dass gerade alle meinen, sie müssten gegen die AfD zu Felde und auf die Straßen und Plätze ziehen? Oder droht hier wirklich eine neue braune Gefahr?
Ist der Krieg in der Ukraine einer von vielen Konflikten auf der Welt oder müssen wir Russland wirklich fürchten?
In Schweden kursiert mittlerweile die Angst, dass 2024 Schwedens1939 werden könnte – im Vergleich zum Angriff Hitlers auf Polen und den Ausbruch des zweiten Weltkriegs.
Sie alle, meine Damen und Herren, verfolgen die weltpolitische Lage, schauen nach USA, nach China, nach Taiwan und haben die Märkte besser im Blick als ich.
Volatil bis gefährlich ist es gerade überall.
Gestörte Lieferketten machen sich bei jedem Handwerker bemerkbar. Und auf der anderen Seite sollen Sie ein Lieferkettengesetz einhalten.
Ich kann nur sagen: Jeder muss jetzt seinen Beitrag leisten. Jeder an seiner Stelle und jeder nach seinen Kräften.
Das gilt für Sie in der Wirtschaft,
in Ihren Unternehmen, in den Beratungsagenturen und Betrieben, das gilt für uns in der Politik,
auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene.
Ich bitte Sie alle sehr herzlich: bringen Sie sich ein, grummeln Sie nicht, verbreiten Sie Zuversicht und Handlungsbereitschaft.
Ehrlich gesagt höre ich oft auch aus Wirtschaftskreise so einen Unmut,
so eine Distanz zur Politik, bis hin zur Politikerverachtung, so ein unspezifisches Schimpfen auf „die Bürokratie“, auf unser langwierigen Abstimmungsprozesse, usw.
Aber, meine Damen und Herren, hier dürfen wir nicht mit dem Feuer spielen!
Wir sind jetzt an einem Punkt, wo so Sprüche wie: In Singapur geht es doch auch, oder: die Chinesen schaffen es schneller, bei uns sitzen da oben nur Ignoranten – solche Sprüche können jetzt eine Glut anheizen, die sich zu einem fatalen Feuer entwickeln kann.
Ihr Motto lautet heute: Wahre Werte.
Machen wir uns bitte bewusst:
Die Grundlagen unseres Staatswesens sind der Respekt vor dem Einzelnen, auch vor dem Fremden,
es sind die Menschenrechte,
es ist sind die Freiheit,
die Gewaltenteilung,
die Gleichheit vor dem Gesetz,
es geht uns um Gerechtigkeit i.S. von Chancengerechtigkeit,
es geht uns um den Generationenzusammenhalt und um die Bewahrung der Schöpfung.
Das sind die wahren Werte unseres Zusammenlebens, meine Damen und Herren.
Gebieten Sie also bitte Einhalt, wenn in Ihrem Umfeld gegrummelt und gezündelt wird.
Ich bin davon überzeugt, dass wir solchen Tendenzen mit Pragmatismus begegnen können.
Ich denke, wenn wir die Probleme lösen, die die Menschen beschäftigen, dann lassen sie sich auch nicht in die Arme von Rechtspopulisten treiben.
Aber da gibt es jetzt wirklich viel zu tun.
Meine Damen und Herren, wir erwarten einen Rückgang des BIP um 0,6 % in Baden-Württemberg.
Das ist ein Wert, der unter dem des Bundes und unter den Werten anderer Länder wie der Schweiz, Frankreich, den USA liegt.
Von den steigenden Zahlen der Unternehmensinsolvenzen muss ich Ihnen nichts erzählen.
Die verfassungswidrige Haushaltskrise der Bundesregierung haben Sie ebenfalls im Blick.
Die wird massive Auswirkungen auf die Bundesländer haben. Denn die bisherigen Anteile des Bundes an Förderprogrammen in verschiedensten Bereichen – ich weiß es speziell vom Fachgebiet der Landwirtschaft her – werden entfallen.
Wir können das mit Landesmitteln überhaupt nicht ausgleichen.
Wir werden voraussichtlich massive Einschnitte in unsere Förderkultur erleben.
Ein BM beklagte bei einem NJE, für die Kommunen gäbe es rund 400 Förderprogramme und er stellte in Frage, ob die überhaupt nötig seien.
Denn: Solche Förderprogramme sind ja mit extrem viel Bürokratie verbunden. Immerhin handelt es sich um öffentliches Geld. Für dessen Verwendung muss man immer ausführlich Rechenschaft abgeben.
Und dieser „goldener Zügel“ wirkt bis tief in unser Privatleben. Beim Kauf eines E-Autos erwartet der Verbraucher finanzielle Unterstützung vom Staat. Das eigene Hausdach wird am besten dann saniert, wenn es gleichzeitig eine Förderung für die Fotovoltaikanlage gibt.
Meine Damen und Herren,
Ich denke, man könnte und sollte staatliche Förderungen straffen und pauschalieren. Vielleicht kommen wir in 2024 hier voran.
Auf jeden Fall brauchen wir für das neue Jahr eine Reform-Agenda.
Dazu gehört natürlich der Bürokratieabbau.
Ich freue mich, dass unsere Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, Andrea Wechsler, sagt, wir müssten Europa besser machen. Denn viel Bürokratie kommt auch von den kleinteiligen europäischen Vorschriften. Und die Bundesregierung setzt denen oft noch das I-Tüpfelchen drauf. Im Land wurde jetzt eine Entlastungsallianz eingerichtet. Hoffen wir auf Erfolg.
In jedem Fall gilt bei der Bürokratie:
Weniger wäre mehr.
Außerdem: wir brauchen weniger Pläne und stattdessen tatkräftiges und schnelles Handeln.
Dazu kommt: Arbeit muss sich lohnen. Wir brauchen eine neue Leistungsbereitschaft, nicht nur, wenn wir dem Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel begegnen wollen, sondern insgesamt muss unsere Gesellschaft wieder mehr Leistungsbereitschaft zeigen.
Die work-life-balance muss neu ausbalanciert werden.
Ganz wichtig: Mehr Technologieoffenheit . Weniger staatlichen Dirigismus.
Und nicht zuletzt: Industrie braucht Energie.
Das wissen wir hier am Industriestandort Böblingen sehr gut.
Daher müssen wir sowohl in die verschiedenen regenerativen Energien investieren, aber auch in zukunftsfähige Technologien wie Wasserstoff.
Meine Damen und Herren, die Liste für diese Reformagenda lässt sich noch stark erweitern. Sie kennen alle unsere Schwachstellen.
Ich lasse es jetzt dabei und bitte Sie alle sehr herzlich, sich auch persönlich dafür einzusetzen, dass wir in diesem Jahr gut vorankommen.
Leistungsträger müssen sich jetzt auf ihre Verantwortung besinnen.
Leistungsträgerinnen müssen zuversichtlich bleiben
Meine Damen und Herren, ich habe eingangs von dem Glücksatlas gesprochen.
Bemerkenswert an den Ergebnissen finde ich, dass die Stuttgarter so unzufrieden sind.
Stuttgart sei die Negativüberraschung bei Städteranking 2023.
Die Stuttgarter gelten als wohlhabend aber nur unterdurchschnittlich mit ihrem Leben zufrieden.
Auf der Skala von 0 – 10 bewerten sie ihre Lebenszufriedenheit mit 6,54 Punkten und liegen damit leicht hinter Essen (6,63) und weit hinter München (6,90) .
Interessant: Diejenigen unter den Stuttgartern, die ihre Zukunft eher pessimistisch bewerten, sind vor allem mit dem Zusammengehörigkeitsgefühl in Stuttgart unzufrieden.
Deswegen, meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten unter den Menschen in unserem Land wieder größer und stabiler machen.
Der Austausch, den Sie hier im Wirtschaftsrat und nicht nur zum Jahresauftakt pflegen, ist ein gutes Beispiel dafür.
Lassen Sie uns im Gespräch bleiben:
Kleine Betriebe und große Konzerne, Wirtschaft und Landwirtschaft, Umweltschützer und Energiekonzerne,
Politiker aus Brüssel, Straßburg und Berlin, Landtagsabgeordnete mit Kommunalpolitikern,
Gewerkschafter mit Arbeitgebern,
Zugewanderte mit Alteingesessenen.
Ich bin sehr dankbar für den guten Austausch, den der Wirtschaftsrat mit der Politik pflegt und danke Ihnen nochmal sehr herzlich für Ihre Einladung heute.