Laudatio bei der Ausstellungseröffnung „Frauen für den Frieden“

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vor 130 Jahren ist eines der schönsten Werke der deutschsprachigen Literatur erschienen. Es war kein stilistisches Meisterwerk, aber es hat die Menschen ergriffen, aufgerüttelt und begeistert wie kaum ein anderes Buch seiner Zeit – nicht nur in Deutschland und Österreich. Innerhalb weniger Jahre wurde der Bestseller in mehr als 15 Sprachen übersetzt, und sein Titel wurde zur Parole des europäischen Pazifismus: „Die Waffen nieder!“

 

Die Wirkung des Romans auf seine Leser war einzigartig. Seine Botschaft, der Krieg sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Frieden nicht allein ein Gebot der Vernunft, sondern vor allem der Humanität, erreichte nicht nur die Köpfe, sondern die Herzen der Leser:

 

„Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit Blut abgewaschen werden.“ (Zitat aus dem Roman)

 

Sätze wie dieser waren eine Kampfansage an den Militarismus, der Appell an die Europäer, endlich dem Krieg den Krieg zu erklären.

 

Die Kompromisslosigkeit, mit der der Roman den Frieden zwischen den Völkern verlangte, machte ihn außergewöhnlich. Aber zur Sensation wurde er, weil eine Frau ihn geschrieben und damit dem Pazifismus eine unüberhörbare Stimme gegeben hatte: Bertha von Suttner.

 

Dreißig Jahre, bevor die Frauen in Deutschland das Wahlrecht erlangten und erstmals ihre Stimme bei der allgemeinen, freien und geheimen Wahl zur Weimarer Nationalversammlung abgeben durften, hatte sich die österreichische Pazifístin und Schriftstellerin in ganz Europa zu Gehör gebracht. Jahre später hat sie den Friedensnobelpreis bekommen. Aber als sie im Sommer 1914 starb, stand der Erste Weltkrieg unmittelbar bevor. Ihre Botschaft hatte nur die Völker, nicht die Regierungen Europas erreicht. Doch vergessen wurde die Botschaft Bertha von Suttners nie, sie ist es auch heute nicht. Wir wissen: Sie ist so aktuell wie vor 130 Jahren.

 

Bertha von Suttner ist eine der Frauen, denen der Künstler Paramjeet S. Gill sein Projekt gewidmet hat, das ich heute vorstellen darf: “Frauen für den Frieden”.

 

Gills Werk ist mir seit einigen Jahren vertraut. Vor mehr als zwei Jahrzehnten ist er aus Indien nach Deutschland gekommen. Er wohnt seitdem mit seiner Frau in Warmbronn, aber er wohnt und lebt dort nicht nur. Der Teilort Leonbergs wurde ihm zur Heimat, und Gill wurde zum Chronisten seiner Heimat, der seine Geschichten nicht mit dem Kugelschreiber oder auf dem Laptop erzählt, sondern in den grandiosen Bildern, die ihm mit seiner Kamera gelingen.

 

Seine künstlerische Botschaft ist nicht schwer zu entschlüsseln, sie ist auch leicht zu verstehen, aber – wie wir alle wissen – nur sehr schwer zu beherzigen. Sie lautet, in einem Wort: Versöhnung.

 

 

Das ist keine Überraschung für den, der Gills geistige Eltern kennt: Mutter Theresa und Christian Wagner. Mutter Theresa hat Gill einst in Kalkutta kennengelernt. Mit seinem geistigen Vater, dem Warmbronner Lyriker Christian Wagner, hat er sich künstlerisch in mehreren Büchern verbunden – und Gedichte Wagners mit seinen Fotografien zusammengestellt. Wagner, in Warmbronn 1835 geboren und dort auch 1918 gestorben, war nicht nur ein Sänger der Natur, der in seiner Lyrik die Schonung alles Lebendigen propagierte. Wie Bertha von Suttner war er ein Feind des Krieges. In einem Brief an seinen Freund und Seelenverwandten Hermann Hesse hat er sich beklagt, er sei nun schon mehrfach „um Kriegslieder angegangen“ worden, aber „das Heldentum des Nitroglyzerins erkennen wir nicht an!“

 

Das war das Vermächtnis Wagners, als er 1918 gegen Ende des Ersten Weltkriegs starb. Dieses Vermächtnis hat Gill auch schon bisher bewahrt, und er bewahrt es bis zum heutigen Tag. Auch in Gills neuem Buch „Frauen für den Frieden“ glauben wir die Stimme Wagners zu hören, selbst wenn er nicht zu Wort kommt. Gill präsentiert uns einen weiblichen Chor, den Zusammenklang von 40 Frauenstimmen aus Leonberg, aus der Region, ja aus dem gesamten Bundesgebiet, die zwar nur eine, die Botschaft des Friedens verkünden, aber in 40 Varianten.

 

Jede der Frauen, die Gill in wunderbaren, klaren Bildern portraitiert, hat für ihren Wunsch nach Frieden persönliche Worte gefunden. Kein Satz ist gleich, kein Wort ist gleich, aber ein Wort fehlt in keinem Satz: Frieden.

 

Wir haben uns daran gewöhnt, sehr geehrte Damen und Herren, dass wir Frauen um unsere Stimme gebeten werden. Ja, die meisten Männer haben sich im Lauf der Zeit sogar daran gewöhnt, dass sich Frauen zu Wort melden, ohne dass sie darum gebeten worden sind.

 

Aber dass Frauen gehört und nicht nur gehört, sondern mit ihren Wortmeldungen ernst genommen werden, ist noch nicht lange selbstverständlich. Das wurde es erst, seitdem die Frauen nicht nur reden dürfen, sondern mitreden können, seitdem also ihre Stimme zählt.

 

Sie zählt erst seit 100 Jahren, seit der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung, zu der erstmals in Deutschland Frauen zugelassen waren. Die Verfassung, die die Versammlung aus der Taufe hob, formulierte das Frauenwahlrecht – genauer: ihr Recht, zu wählen und gewählt zu werden – dann als Grundrecht und gewährte ihnen immerhin „grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten” wie den Männern.

 

Zwar waren nur 10 Prozent der Mitglieder der Nationalversammlung Frauen. Aber die 41 Frauen, die 1919 in die Nationalversammlung einzogen, hatten es wirklich in sich.

 

Das gilt nicht zuletzt für Helene Weber, damals noch Abgeordnete des Zentrum. Sie war eine bekannte katholische Frauenrechtlerin und Jahre später als Abgeordnete der CDU eine der vier Mütter des Grundgesetzes.

 

Damals, vier Jahre nach dem Zweiten Krieg , hat Helene Weber einen – bis heute viel zitierten – Satz gesagt, der sich nicht auf die Gleichberechtigung der Frauen im Allgemeinen bezog, sondern auf das Recht und die Pflicht der Frauen, auch bei der Entscheidung über Krieg und Frieden ein Wörtchen mitzureden.

 

Damit erweist sie sich als Schwester im Geiste Bertha von Suttners, Christian Wagners, Paramjeet Gills und aller in seinem Buch erwähnten Frauen. Der Satz lautete: „ Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker.“

 

Dem Foto-Künstler Paramjeet Gill ist mit diesem Buch ein großer Wurf gelungen. Der Krieg kennt nur eine Sprache. Es ist die Sprache der Gewalt. Der Frieden aber spricht mit vielen Stimmen, leise, aber beharrlich, freundlich, aber unbeirrbar. Jede Stimme, die von Frieden spricht, hat Anspruch darauf, gehört zu werden, denn auf keine Stimme – und sei sie noch so schwach – kann der Frieden verzichten, auch und schon gar nicht auf die Stimmen der Frauen.

 

So wie sie sich vor einhundert Jahren ihr Stimmrecht erstritten haben, das heute selbstverständlich ist, so streiten sie jetzt dafür, dass das Recht auf Frieden selbstverständlich wird.

 

Und mit seinem Projekt hat Paramjeet Gill uns die schönste Unterstützung gegeben, die wir uns wünschen konnten. Herzlichen Dank dafür.