Laudatio anlässlich der Vernissage am 9.10.21 zur Jahresausstellung des “Kunst und Handwerk” e. V. Welzheim
Sehr geehrte Frau Börnert, sehr geehrter Herr Bürgermeister Bernlöhr, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kunstinteressierte!
Vor 15 Jahren entdeckten Tübinger Forscher das älteste vollständig erhaltene Kunstwerk der Menschheit – gar nicht so weit weg von hier, auf der Schwäbischen Alb. Ein kleines, geschnitztes Mammut aus Elfenbein. Das „Mammut vom Vogelherd“. Kaum größer als ein kleiner Finger, nur einige Gramm schwer. Über 35.000 Jahre hat diese winzige Figur überstanden und doch wissen wir ganz wenig über sie: Wer hat sie erschaffen? Und warum? Wollte er oder wollte sie damit den eigenen Status zum Ausdruck bringen? Oder war das Mammut für religiöse Verehrung gedacht?
Vielleicht, meine Damen und Herren – lassen Sie mich ein bisschen spekulieren – wurde das „Mammut vom Vogelherd“ von einem Menschen geschnitzt, der sich einsam fühlte. Von einer Person, die sich die Zeit vertreiben wollte, weil sich ihr Leben eintönig anfühlte. Einsamkeit, meine Damen und Herren, ist heute, 35.000 Jahre später, eines der bestimmenden Themen unserer Zeit. Dazu werden wissenschaftliche Bücher geschrieben und Diskussionsrunden veranstaltet. Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck eines Vortrags von dem Hirnforscher Manfred Spitzer von der Universität Ulm, der sich mit den Auswirkungen der Coronamaßnahmen auf Kinder und Jugendliche befasst hat.
Einsamkeit haben wir viele Menschen während der Coronakrise erfahren, als wir in unsere eigenen vier Wände verwiesen wurden. Und weswegen wir jetzt Gemeinsamkeit erst wieder einüben müssen. Einsamkeit geht aber weit über die Coronakrise hinaus. Sie betrifft die Großeltern auf dem Land, deren Enkel lieber in die Stadt ziehen. Sie betrifft aber auch eben jene Enkel in der Stadt, die möglicherweise trotz 500 Facebook-Freunden keine einzige Person haben, die ihnen wirklich nahe steht.
Das Thema kann uns als Gesellschaft nicht kaltlassen, wenn wir niemanden zurücklassen wollen. Es kann uns als Staat nicht kaltlassen, weil Einsamkeit krank macht. Es kann uns als Demokratie nicht kaltlassen, weil Einsamkeit anfälliger macht für radikale Positionen. Um etwas gegen die „Epidemie Einsamkeit“ zu machen, sind wir alle gefragt. Genau hier setzt der Ideenwettbewerb „Gemeinsam:Schaffen“ an. Wir suchten innovative Ideen, die dazu beitragen, dass wir nicht nur neben-, sondern auch miteinander leben.
Das ist uns im Ministerium gerade für den Ländlichen Raum besonders wichtig. Wir wollten Leuchttürme für das bürgerschaftliche Engagement entdecken, die Gutes bewirken und andere zur Nachahmung anregen. Und diese Suche, meine Damen und Herren, war äußerst erfolgreich. Sie war gerade auch hier bei Ihnen in Welzheim erfolgreich. Und dazu gratuliere ich Ihnen ganz herzlich!
141 Beiträge wurden eingereicht, 45 Beiträge haben die Jury besonders überzeugt. Und dabei ist auch Ihr Projekt. Das „Kunstprojekt Welzheim. Kreativität und Innovation“. Aus meiner Sicht ist das kein Wunder. Denn Kunst, wie wir sie heute hier sehen, ist wirklich gut dafür geeignet, Menschen zusammenzubringen. Schon vor 35.000 Jahren wird die kleine Mammut-Schnitzerei, von der ich eingangs sprach, Steinzeitmenschen zusammengebracht haben. Einer hat sie geschnitzt, andere haben sie betrachtet, haben nachgefragt, sie bewundert, sich davon berühren lassen.
So etwas unterscheidet schon den Steinzeitmenschen von Tieren. Kunst und Kultur machen den Menschen zum Menschen, Kunst schafft Zivilisation. „Kunst“, meine Damen und Herren, „ist nicht Luxus, sondern eine Notwendigkeit“, das sagte der Bauhaus-Künstler Lyonel Feininger.
Aber wie schafft es die Kunst, uns als Gesellschaft zusammenzuhalten? Und wie kann sie etwas gegen Einsamkeit tun? Was fühle ich, wenn ich ein Bild sehe? Wenn ich eine Skulptur betrachte? Woran denke ich, wenn ich ein Theaterstück sehe? Oder ein Buch lese?
Das sind Fragen, über die Sie, meine Damen und Herren, auch heute, wenn wir nachher durch die Ausstellung laufen, ins Gespräch kommen werden. Gemeinsam können wir uns über die hier ausgestellte Vielfalt der Stile, der Methoden und Techniken austauschen. Wir können die großen und kleinen Künstlerinnen und Künstler direkt befragen. Denn Kunst regt über die Unterschiedlichkeit der Menschen hinweg zum Austausch an. Dadurch wird Kunst zum verbindenden Element in unserer Gesellschaft.
Hier in Welzheim kommen wir uns aber nicht nur beim Betrachten von und beim Diskutieren über Kunst näher. Sie haben sich in den Malkursen mit dem Thema „Heimat“ befasst und damit eine Plattform geschaffen, in der sich die Künstlerinnen und Künstler untereinander darüber ausgetauscht haben, was Heimat für sie bedeutet.
Da entstanden ganz neue Perspektiven auf eigentlich Bekanntes: auf die Sternwarte, auf Haustiere, auf die Familie oder auch auf die Welzheimer Silhouette im Schwäbisch –Fränkischen Wald. Und bei all dem ging es letztlich um die Begegnung von Menschen miteinander, von jüngeren und älteren, es ging darum, Freude miteinander zu haben und zu teilen, es ging um Wertevermittlung. Und wer weiß: Vielleicht sind bei den Malkursen auch Freundschaften entstanden.
Um all das möglich zu machen, gerade in Zeiten der Coronapandemie – dazu braucht es tatkräftiges Engagement. Genau das haben Sie eingebracht, liebe Frau Gutzmann-Batista! Sie haben in Ihrer Freizeit den Malkurs in der Schulmensa angeboten. Das bedeutete, Staffeleien und Materialien zu transportieren, eben nicht nur zu inspirieren sondern auch zu organisieren. Vielen herzlichen Dank im Namen aller für Ihren Einsatz.
Liebe Frau Börnert, als 1. Vorsitzende können Sie sehr stolz auf Ihren Verein sein. Er prägt durch seine Jahresausstellungen den Sinn für Kunst in Ihrer Stadt ganz wesentlich. Da hängt natürlich ganz viel an der Vorsitzenden und deswegen danke ich auch Ihnen sehr herzlich für Ihr persönliches Engagement. Menschen mit guten Ideen und dem Mut, diese auch umzusetzen, sind die Voraussetzung unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Schlussendlich gilt mein Dank natürlich auch Ihnen, liebe Künstlerinnen und Künstler jeden Alters: Es ist ganz wunderbar, dass sie sich alle so engagiert auf das ungewöhnliche Projekt eingelassen haben. Sie sind ein tolles Vorbild. Auch im Namen von Minister Hauk darf ich Ihnen sehr herzlich danken und seine Grüße übermitteln. Auch er ist – um den Bogen zum Anfang meiner Rede zu spannen – fest davon überzeugt: Ein Kunstprojekt und eine Ausstellung wie Ihre heute hier in der Eugen-Hohly-Halle sorgen dafür, dass wir Einsamkeit überwinden können und dass Menschen zueinander finden.
Jetzt wünsche ich Ihnen allen viel Freude, gute Gespräche und Inspiration bei der diesjährigen Jahresausstellung!