Kirchengemeinderatstag der Ev. Landeskirche Württemberg
Lieber Herr Landesbischof Dr. July, liebe Frau Präsidentin der Landessynode, Frau Inge Schneider,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Am letzten Wochenende haben wir alle unsere Uhren umgestellt – das ist uns ja zur Gewohnheit geworden, auch wenn es Bestrebungen gibt, dies zu ändern. Das Umstellen meiner Uhren zu Haus hat mich an meine Reise kürzlich nach Israel erinnert.
Dort haben wir, die Mitglieder des Präsidiums des Landtags, die Grabeskirche in der Altstadt von Jerusalem besichtigt. Viele von Ihnen kennen diese Kirche und ihre Pracht vielleicht selber – auch wenn unsere protestantische Religion dort nicht vertreten ist. Was ich so bemerkenswert fand: In dieser Kirche, inmitten der pulsierenden Stadt, gibt es die Zeitumstellung nicht. Dort unterscheidet man nicht zwischen Sommer- oder Winterzeit.
Viele von Ihnen kennen wahrscheinlich den Hintergrund: Das Heiligtum ist in den Händen von sechs christlichen Konfessionen, die alle einen Anteil an der Grabeskirche haben. Nicht nur der Besitz in der Kirche ist ganz genau geregelt, sondern auch, wer zu welcher Zeit an welchem Ort in der Kirche wie lange beten darf.
Diese genauen Regelungen waren ein guter und wertvoller Kompromiss für Jerusalem im jahrhundertelangen Streit zwischen den Konfessionen um die Grabeskirche. Allerdings ist dieser Kompromiss wohl so komplex, dass er keine Erschütterungen durch eine Zeitumstellung verträgt.
Auf uns hier in Deutschland wirkt dieses streng geregelte Nebeneinander der Religionen sehr starr und ich glaube, wir freuen uns alle über das lockere Miteinander, dass wir hier miteinander pflegen können.
Der interreligiöse Kontakt und Austausch wird aus meiner Sicht für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt immer bedeutender. Denn seit einigen Jahren wird die religiöse und weltanschauliche Zusammensetzung der Bevölkerung auch bei uns in Deutschland immer vielfältiger. Immer mehr Muslime leben unter uns und mit uns, die jüdischen Gemeinden erfahren Zulauf, bislang in Deutschland kaum vertretende Konfessionen verbreiten sich und sogar wir Evangelischen teilen uns in immer mehr Kirchen auf.Gleichzeitig erleben wir einen Trend zur Konfessionslosigkeit, auch hier in Baden-Württemberg.
In dieser wachsenden Vielfalt, in dieser Zersplitterung sehe ich eine starke Parallele zwischen Kirche und Politik. Wir müssen in beiden Bereichen auf die Herausforderungen und Erwartungen unserer Gesellschaft reagieren, die sich zunehmend ausdifferenziert und immer pluralistischer wird.
Ich halte es jedoch für ganz und gar wichtig, dass wir uns über die verschiedene Kulturen, Religionen und soziale Strukturen hinweg zusammenfinden. Denn nur so können wir unsere Gesellschaft, die ja auf Kompromiss und Konsens angelegt ist wie unser Staatswesen auch, zusammenhalten.
Sie, meine Damen und Herren Kirchengemeinderäte, spielen dabei eine wichtige Rolle: Sie sind hochengagiert, Sie fördern den Austausch und das Werteverständnis im religiösen, sozialen und schulischen Bereich – und das in der Regel ehrenamtlich.
Ich möchte Ihnen heute sehr herzlich für das danken, was Sie für uns alle, für unser Miteinander, für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft leisten. Deswegen ist es auch so wichtig, dass Kirchen und Politik in gegenseitigem Respekt im Kontakt und im Gespräch bleiben.
Dass Sie uns mit Herrn Steinbrecher solch einen kompetenten, feinfühligen und klugen Vertreter Ihrer Kirche in den Landtag als ständigen Beobachter und Begleiter entsandt haben – dazu kann ich Sie und uns nur beglückwünschen. Die Morgenandachten, die er vor den Plenartagen gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen regelmäßig anbietet, sind ausgesprochen gut besucht und er trifft immer den Punkt und den Nerv, um uns zu sensibilisieren für die Fragen der Zeit und des Herzens. Aber ich denke, er trägt auch sehr viel dazu bei, dass wir von einander wissen, Sie in der Kirche von uns im Landtag und wir von Ihren Anliegen und Überlegungen in den Gemeinden.
Auch Sie kennen Wahlen und Gremienarbeit, Abstimmungen und Niederlagen. Die bevorstehenden Kirchenwahlen beschäftigen Sie auf Ihrer heutigen Tagung ganz besonders. Mit ihrem ehrenamtlichen Engagement in der Kirche und für die Kirche zeigen sie, dass es Ihnen wichtig ist, Glaube, Liebe, Hoffnung weiterzugeben von Mensch zu Mensch, von einer Generation zur nächsten.
Und Sie zeigen auch, dass Ihr Herz für Ihre Kirchengemeinde schlägt, dass Sie unsere Kirche nicht abgeschrieben haben, auch wenn Sie vielleicht Kritik haben oder über manchen Trend und manche Tendenz in unserer Kirche besorgt sind.
Ich wünsche Ihnen daher viele Bewerberinnen und Mitstreiter und eine hohe Wahlbeteiligung und ich hoffe, dass nicht so viel „Kampf“ vor dieser Wahl notwendig sein wird. Denn außer dem „guten Kampf des Glaubens“ sieht die Bibel für Christen und Christinnen eigentlich keine Kampfhandlungen vor. Und der „gute Kampf des Glaubens“ wird jeden Tag ausgefochten, ohne Gewalt, ohne Beschimpfung des Gegners, sondern so, wie Hermann Hesse es einmal gesagt hat.
„Was wir ändern können und sollen, das sind wir selber; unsere Ungeduld, unseren Egoismus (auch den geistigen), unser Beleidigt-Sein, unseren Mangel an Liebe und Nachsicht“.
Darum ist für uns eigentlich jeder Tag ein Wahltag, ein Entscheidungstag für den Glaube, für die Kirche Jesu Christi.