Grußwort Finissage „Leben lassen“ Hospiz Leonberg

Liebe Freunde des Hospiz Leonberg,

meine sehr geehrte Damen und Herren,

die meisten von Ihnen begleiten das Hospiz Leonberg mehr oder weniger lange und intensiv. Mein erster Kontakt mit dem Thema „Hospiz“ liegt ungefähr 30 Jahre zurück. 1994 erzählte mir ein Nachbar – wir lebten damals in Radolfzell am Bodensee –  dass in der Stadt ein

Hospizverein gegründet wurde und dass er sich zum Trauerbegleiter ausbilden lässt.

Ich verspürte damals zwar großen Respekt  für unseren Nachbarn, aber ich selber konnte mir so ein Ehrenamt überhaupt nicht vorstellen. Ich  hatte zwei kleine Kinder und war mit  dem dritten schwanger. Ich wollte mich mit dem Leben beschäftigen und nicht mit dem Tod.

Dass  Leben und Tod ganz nah beieinander liegen, das lernte ich erst später. Auch, dass nicht jede Schwangerschaft selbstverständlich in ein unbeschwertes neues Leben mündet.

Nicht zuletzt in Erinnerung an meine damalige spontane erste Reaktion gefällt mir ein Bild von unseren Fotokünstlern Johannes Wosilat und Anna-Lisa Lange ganz besonders, das sich relativ weit hinten in dem Ausstellungskatalog findet. Das Bild von Alex. Dem Vater von dem sterbenskranken Benedikt. Das Gesicht von Alex sieht man nicht. Vergräbt er sein Gesicht in den Händen? Wischt er sich Tränen aus den

Augen? Will er wegsehen? Ich finde das Foto so vieldeutig.

Dass Sie alle, meine Damen und Herren, heute hier sind, das finde ich ein gutes Zeichen.

Sie verschließen sich dem Thema nicht.

Sie können mitfühlen.

Sie verschließen sich der Vieldeutigkeit nicht.

Sie wollen hinschauen.

Das ist nicht selbstverständlich.

Denn obwohl wir ja eigentlich wissen, dass das Leben endlich ist, verdrängen wir dieses Wissen gerne. Und stehen dann sprach- und hilflos in dieser zumeist unerwarteten Situation.

Als ich mit meiner Familie von Radolfzell nach Leonberg gezogen bin, wurde ich recht schnell wieder mit dem Hospiz konfrontiert. Und dann empfahl mir ein ehrenamtlicher Trauerbegleiter die Novelle  „Ein Tag mit Herrn Jules“

von der flämischen Autorin Diana Boeckhoven.

Da stellt eine alte Dame beim Frühstückmachen fest, dass ihr Mann auf dem Sofa sitzend

gestorben ist. Sie reagiert darauf aber erst mal nicht.Sie tut so, als ob nichts wäre. Sie lässt  den ganzen Tag mit all seinen Ritualen und Gewohnheiten ablaufen wie immer und unterhält sich nebenbei  auch noch mit ihrem Mann. Sie hat auch nichts dagegen, dass eine Nachbarin ihr ihren kleinen Sohn wie immer zur Betreuung in die Wohnung bringt.

Auch der Junge lässt sich von dem Toten nicht davon abhalten, das übliche Brettspiel aufzubauen.

Was machen die Beiden da, die alte, vielleicht schon etwas demente Dame und das kleine, vielleicht autistische Kind? Verdrängen sie den Tod? Wollen sie wegschauen? Oder gehen sie ganz selbstverständlich damit um und integrieren den Tod in ihr Leben?

Das ist nicht ganz eindeutig in dieser Geschichte „Ein Tag mit Herrn Jules“.

Und genau das ist für mich das Besondere daran ich.  Genau wie in dem Bild von Alex.

Es darf mehrdeutig sein.

Denn es gibt verschiedene Arten, mit dem Tod umzugehen.  Wichtig ist, dass wir die Würde, den Respekt und die Achtung wahren.

Dabei können uns Hospize helfen:

Sie begleiten den sterbenskranken Menschen, sie reichen ihm die Hand. Sie ermöglichen es, dass ein Mensch in Würde und an der Hand eines anderen Menschen sterben kann.

Sie ermöglichen es aber auch denen, die noch voll im Leben stehen, sich frühzeitig mit dem Sterben zu befassen. Sie holen den Tod aus der Tabuzone heraus.  Zum Beispiel mit dieser Ausstellung und all den Begegnungs- und Gesprächsmöglichkeiten, die damit verbunden sind in diesen vier Wochen hier am Engelberg.

Damit uns der Tod nicht die Sprache verschlägt, damit wir nicht wegschauen müssen:

Dafür brauchen wir Hospizvereine und in Leonberg haben wir dafür sogar einen Ort,

  • nämlich das stationäre Hospiz in der Seestraße,
  • Dafür brauchen wir ausgebildete Trauerbegleiter. Diese Ausbildung bieten die Hospizvereine an.

Die Trauerbegleiterinnen können Schwieriges zur Sprache bringen, oder sie sprechen ohne Worte, mit Gesten und mit Taten. Berührungen können so viel helfen und sie stillen ein ganz grundsätzliches menschliches Bedürfnis. „Vom Leben berührt“ titelte kürzlich das norddeutsche Magazin zum Kirchenjahr „andere zeiten“.

Und wo Erwachsene sprach- und hilflos angesichts von Leid und Trauer bei Kindern sind, können geschulte Kinderhospizkräfte helfen. Sie nehmen sie an die Hand, sie hören ihnen zu. Und manchmal  geht es auch darum, Kindern das fröhliche Leben  trotz Tod und Trauer in ihrem nächsten Umfeld aufzuzeigen.

Bei einem Ausflug, beim Kürbisse Schnitzen, beim gemeinsamen Kochen oder auch durch Hilfe bei den Schularbeiten.

Angesichts all dieser so wichtigen Aufgaben, meine Damen und Herren, ist es fast überraschend, dass Hospize in ihrer heutigen Form eine sehr moderne Erscheinung sind. In England gibt es sie seit den 1960ern, in Deutschland erst seit den 1980ern und1990er-Jahren.

In Baden-Württemberg haben wir aktuell

233 ambulante Hospizdienste,

37 stationäre Hospize,

39 ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste,

1  stationäres Hospiz für  Kinder und Jugendliche und

40 Palliativstationen.

Wir sind unseren Pionierinnen Margarete Helmes und der langjährigen Vereinsvorsitzenden Kristin Kuhl sehr dankbar für ihr frühzeitiges Wirken.

Seit 1997 haben wir ein Hospiz in Leonberg. Seit 10 Jahren gibt es den Neubau des stationären Hospizes.

Ich freue mich sehr, lieber Herrn Burr, dass mit Ihnen und Ihrem Team weiterhin so ein engagierter Vorstand am Wirken ist.

Und Sie freuen sich über so viele Mitglieder und Freunde und Unterstützer. Denn ohne tatkräftig und ohne finanzielle Unterstützung kann kein Hospizverein bestehen.

Die Krankenkassen übernehmen aktuell 95% der Pflegekosten jedes Hospizplatzes. Die Landesregierung fördert die Aus- und Weiterbildung zur Trauerbegleitung und zur Hospizkraft (bis Ende August neue Anträge möglich, 250/750 Euro pro Teilnehmer). Auch Investitionskosten werden seit einiger Zeit unterstützt, mit 10.000 Euro pro neu geschaffenem Hospizplatz.

Weitere stationärer Hospizplätz sind in Baden-Württemberg aber eigentlich nicht dringend notwendig. Unsere Versorgung ist gut und angemessen. Die Menschen wünschen sich eher noch bessere Begleitung zu Hause. Denn dort möchten die meisten Menschen ihre letzte Reise antreten.

Wir brauchen also noch mehr Ehrenamtliche, die ambulant zum Einsatz kommen. Für diese Schulungen benötigt das Hospiz zusätzliche Räumlichkeiten.

Oder für Begegnungen und Beratungen in geeignetem Umfeld, für kleine Feiern und Zusammenkünfte. All das hat das Hospiz vor mit seiner baulichen Aufstockung. Diese Investitionskosten können allerdings nicht von der öffentlichen Hand oder den Sozialkassen übernommen werden. Sondern der Verein ist dafür auf Spenden angewiesen.

Deswegen erlaube ich mir heute bei dieser Finissage dieser so schönen wie berührenden Ausstellung eine Bitte, meine Damen und Herren:

Verknüpfen Sie ihr Kommen heute bitte auch mit einem Nachdenken darüber, welchen Beitrag Sie selber für die Hospizarbeit in Leonberg vielleicht leisten können.

Also auch hier gilt: Bitte schauen Sie nicht weg. Verbergen Sie nicht ihr Gesicht. Sondern schauen Sie hin. Das Anliegen ist ganz und gar eindeutig. Lassen Sie sich bitte zum Handeln animieren.