Grußwort beim Symposium “Urban Systems – Global Challenges – Digital Tools”

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Vertreterinnen und Vertreter aus dem Bereich der Hochschulen und der Kommunen,

„Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“, hat die ehemalige Chefin von Hewlett Packard, Carly Fiorina, vor zehn Jahren schon gesagt. Dieses Symposium zeigt, wie richtig dieser Satz war und ist und dass er auch für Stadtplanungsprozesse seine Gültigkeit hat. Ich freue mich sehr, dass Sie mich heute zu Ihrem Symposium mit seiner zukunftsweisenden Thematik eingeladen haben.

Gerade mit dem Reallabor Stadt:Quartiere 4.0 haben Sie sich der spannenden Frage gewidmet, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf unsere urbanen Lebensräume hat und wie digitale Instrumente in Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden können. Es geht dabei darum, Forschung und Wissenschaft zu verknüpfen mit dem Alltagswissen von Bürgerinnen und Bürgern und Wege zu finden, Menschen frühzeitig in die Veränderungen ihrer Lebens- und Arbeitswelten einzubinden. Das ist ja auch eine hochpolitische Thematik. Für mich ist das Reallabor Stadt:Quartiere 4.0 auch deshalb besonders interessant, weil die Partnerstadt Herrenberg zu meinem Wahlkreis gehört und ich das Projekt schon eine ganze Weile verfolge. Dieses Reallabor ist eines von 14 Projekten, dass das Land Baden-Württemberg seit 2015 fördert.

Die Digitalisierung ist ohne Zweifel einer der größten Veränderungsprozesse unserer Zeit. Sie bietet uns in den verschiedensten Lebensbereichen beachtliche Chancen und lässt uns – Wissenschaftler vielleicht besonders gerne – in Visionen schwelgen und weckt große Hoffnungen. Im wirklichen Leben wundern wir uns manchmal, wenn der Fortschritt doch eher wie eine Schnecke daher kriecht. Neulich fragte mich eine Schülerin, warum es eigentlich noch Stenografen im Landtag gibt, die jedes Wort mitschreiben und lange Protokolle anfertigen und das in Zeiten von Spracherkennungssystemen. Und der Studentenverband RCDS wünscht sich schon seit Jahren, dass Hochschulwahlen als Online-Wahlen durchgeführt werden können.
Wenn das dann endlich mal flächendeckend in die Tat umgesetzt wird – bisher sind wir über Einzelprojekte nicht hinausgekommen –  sind die Erfinder dieser Forderung wahrscheinlich schon lange im Berufsleben angekommen.

Aber der Prozess der digitalen Transformation ist sehr aufwändig und geht nicht immer so schnell voran, wie erhofft. Das liegt nicht unbedingt an den technologischen Möglichkeiten. Da erzähle ich Ihnen, den Experten, nichts Neues. Faktoren wie Zeit, Geld, Cyber Sicherheit, Datenschutz und die Akzeptanz neuer Technologien in der Gesellschaft haben dabei großen Einfluss.

Wir erleben also derzeit ein Nebeneinander

  • von analoger und digitaler Welt
  • von Begeisterung und Befürchtung
  • von Technologieoffenheit und Angst vor Veränderung.

Eine Studie des Instituts für Demoskopie in Allensbach hat erst kürzlich gezeigt: die Deutschen sind so fortschrittsskeptisch wie noch nie – seit Beginn der Erhebung in den 60er Jahren. Nur knapp ein Drittel (32%) der Befragten antwortete mit Ja auf die Frage: “Glauben Sie an den Fortschritt und dass die Menschheit einer immer besseren Zukunft entgegengeht?”. Vor zwanzig Jahren bejahten diese Frage noch fast die Hälfte (48%). Und die anfangs zögerliche Beteiligung der Herrenberger Bürger an Ihrem Projekt hat diese Umfrageergebnisse ja auch bestätigt.

Klar ist, dass Angst vor dem Fortschritt Stillstand bedeutet. Und das können wir uns weder gesellschaftlich, noch wirtschaftlich, noch ökologisch leisten. Die Rolle der Wissenschaft sehe ich deshalb als besonders wichtig an: Sie, meine Damen und Herren Wissenschaftler, haben die Aufgabe, zu analysieren, zu hinterfragen, voraus zu denken. Aber auch:  Orientierung zu geben auf Basis Ihrer empirischer Befunde und, das ist mir ganz wichtig, auf der Basis eines seriösen Wertefundaments.

Auf diese Weise können Sie uns allen neue Chancen eröffnen und erklären, z.B. für unsere Wohnorte – diesem wichtigen Teilbereich unseres Lebens. Infrastruktur- und Stadtentwicklungsprojekte betreffen die Bürgerinnen und Bürger nämlich ganz direkt in ihrem Alltag und wir wissen, wie bedeutend die frühzeitige Information und Einbindung der Bürger heutzutage für die Akzeptanz innovativer Veränderungen sind.

Ich bin Ihrer Einladung heute deshalb sehr gerne und neugierig gefolgt, auch, weil ich das HLRS schon aus früheren Besuchen kenne und Ihre vielfältigen Forschungsschwerpunkte persönlich sehr spannend finde. Als Germanistin kenne ich mich ehrlich gesagt mit Algorithmen überhaupt nicht aus. Ich könnte Ihnen eher etwas über Daktylus und Trochäus erzählen. Aber als Politikerin ist mir klar: anstehende Veränderungen müssen proaktiv begleitet werden.

Denn die virtuelle Realität hat schon längst Einzug gefunden – das erlebe ich bei Baufirmen und Architektenbüros, die ihre Bauprojekte von Anfang an digital visualisieren, oder im Bereich Industrie 4.0 schon häufig. Ganze Produktionsstraßen werden mittlerweile digital geplant.

Für Herrenberg wurde im Rahmen des Reallabors ein „digitaler Zwilling“ realisiert – ein Begriff, den ich jetzt zum ersten Mal gelesen habe und sehr treffend finde. Die schönen Fachwerkhäuser und der Altstadtmarkt – das gibt es jetzt also nicht mehr nur in der realen Welt, sondern auch als „Zwilling“ in der digitalen Welt, in der man virtuell herumspazieren kann. Mit der VR-Brille durfte ich das hier im CAVE schon ausprobieren.

Und ich muss Ihnen ehrlich sagen: gerade für Menschen mit wenig räumlichem Vorstellungsvermögen und nur schwacher Kartenlesekompetenz ist das eine ganz großartige Horizont-Erweiterung. Es wird also in Zukunft möglicherweise keine Stadtplanung mehr vom grünen Tisch aus, vom Reißbrett hergeben. Denn Stadtplaner haben aufgrund Ihrer Forschung die Möglichkeit, auf Daten zurückzugreifen, die das praktische, individuelle Leben spiegeln. Sie können Informationen aus dem Alltag der Menschen sammeln, aufnehmen und verarbeiten.

So wie in Herrenberg: welche Wege laufen Menschen wann und warum und wie häufig? Ich jedenfalls sehe die Digitalisierung als Chance, bauliche Planungen an den tatsächlichen Bedürfnissen auszurichten. Und es ist wirklich großartig, dass wir diese Rechnerkapazitäten hier in Baden-Württemberg haben und für diese Grundlagenforschung nutzen können. Inwieweit wir die Möglichkeiten haben, das alles in Zukunft flächendeckend bereit zu stellen und zu finanzieren, will ich jetzt mal außen vorlassen.

Als Politikerin weiß ich nämlich auch: Auch andere Bereiche möchten die Chancen der Digitalisierung für sich nutzen, zum Beispiel unsere Landesmuseen. Sie würden gerne ihre bedeutsamen Kunstgegenstände digitalisieren und dann virtuelle Museumsrundgänge ermöglichen. Das wäre eine große Chance für Kunst und Kultur, ebenfalls ein sehr wichtiger Teilbereich unseres Lebens. Das ist natürlich mit hohen Kosten verbunden, die den Haushaltsgesetzgeber, also das Parlament, dessen Vizepräsidentin ich ja bin, durchaus in die Zwickmühle bringen können. Betrachten Sie es also bitte wirklich als große Chance, dass diese beiden Förderlinien für die Reallabore auf den Weg gebracht werden konnten. Auch vor diesem Hintergrund bin ich sehr gespannt auf die Ergebnisse.