Grußwort anlässlich der “Helmsenke” der evangelischen Mauritiuskirche in Mötzingen

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Erinnern Sie sich vielleicht an den Roman „Die Säulen der Erde“ von Ken Follett?  Er ist vor etwa 30 Jahre erschienen und gehörte lange zu den Lieblingsbüchern der Deutschen. Die Geschichte spielt im 12.Jahrhundert und es geht um den mittelalterlichen Bau einer englischen Kathedrale. Was wir hier in Mötzingen mit der Mauritiuskirche erleben, das lässt mich wieder an dieses Buch denken, das ich vor langer Zeit sehr gerne gelesen hatte.

 

Der Vergleich zwischen  hier und heute und dem Roman, der im Mittelalter spielt, hinkt natürlich: Dort geht es um den Neubau eines riesigen katholischen Doms, hier um die Renovierung einer kleinen evangelischen Kirche. Dort geht es um ein Projekt, das 40 Jahre lang dauerte, hier ist innerhalb von zehn Monaten der größte Schritt getan. Und vor allem: In „Die Säulen der Erde“ wird der Kathedralenbau durchgehend von Intrigen, Fehden und Blutvergießen begleitet– während ich mir hier habe sagen lassen, dass alles friedlich verlaufen ist. Und doch, wenn man sich etwas in die Materie vertieft, erkennt man auch Gemeinsamkeiten.

 

Sie hier als Kirchengemeinde standen vor ähnlichen Herausforderungen wie die fiktiven Baumeister in Ken Folletts Roman: Im Mittelalter war es eine riesige architektonische Herausforderung, solch eine Kathedrale zu errichten. Und trotz des Fortschrittes von 1.000 Jahren:  Die Schieflage eines alten Kirchengemäuers fordert auch heute noch den gesamten Sachverstand unserer Architekten und Ingenieure, der Techniker und Handwerker. Dass es möglich ist, ein 200 Jahre altes Kirchendach mit Kränen abzunehmen und wieder aufzusetzen – als wäre es ein Fingerhut oder eben ein Helm – das nötigt uns auch heute noch großen Respekt ab. Die mittelalterlichen Baumeister sind in dem Roman die Helden. Auch hier in Mötzingen verdienen die Experten, die sich unserer Mauritiuskirche angenommen haben, allen Respekt!

Womit wir bei der zweiten Herausforderung sind: Der Suche nach Fachkräften. Das war im Mittelalter beim Kathedralenbau schwierig und das ist es auch heute. Es ist auch heute nicht so einfach, Personen zu finden, die in der Lage sind, solch eine aufwändige Renovierung zu leisten. Einmal mehr zeigt sich auch hier bei der Mauritiuskirche: Handwerk ist auch Handwerkskunst. Und das kann kein Studiengang und kein Roboter ersetzen.

Eine dritte Herausforderung bei Kirchenarbeiten ist die Beschaffung von Baumaterial. Die fiktive Kathedrale in „Die Säulen der Erde“ benötigt einen eigenen Steinbruch. Hier in Mötzingen ging es weniger um Steine als um Holz, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Man möchte meinen, es wäre in einem Bundesland, in dem 40% der Landesfläche aus Wald besteht, kein Problem, Holz zu beschaffen. Aber das Gegenteil war hier offensichtlich der Fall. Und es stimmt: Gutes, gesundes Eichenholz zu bekommen ist heutzutage eine echte Aufgabe.

Gerade ist ja der neue Waldschadensbericht unseres Landwirtschaftsministeriums herausgekommen. Darin zeigt sich: Dem Wald geht es zwar durch den vielen Regen in diesem Jahr im Vergleich zu den Vorjahren etwas besser – die Lage ist im Vergleich zum Durchschnitt aber immer noch dramatisch. Langfristig werden wir schauen müssen, welche Baumarten überhaupt noch gut mit dem Klimawandel klarkommen. Vielleicht müssen wir deswegen ganz andere Baumarten pflanzen.

Denn auf den nachwachsenden Rohstoff Holz sind wir angewiesen und am besten holen wir das Holz aus den eigenen Wäldern statt es zu importieren. Sie sind also hier in Mötzingen durch die Renovierung Ihrer Kirche mit großen aktuellen politischen Thema in Berührung gekommen: Mit dem Fachkräftemangel, mit den Herausforderungen des Klimawandels für die heimische Forstwirtschaft – und sicherlich noch mit viel mehr Themen und Problemen.

Alles in allem haben Sie als kirchliche Gemeinde durch viele Herausforderungen steuern müssen. Sicherlich gemeinsam mit und unterstützt von der kommunalen Gemeinde, lieber Herr Bürgermeister. Dabei waren Sie sehr erfolgreich. Auch wenn noch nicht alles fertig sind: Pünktlicher als man das von vielen Großprojekten kennt, können Sie noch in diesem Jahr die Helmsenke vollziehen. Dafür müssen Sie viele Schultern klopfen und dafür dürfen Sie sich aber auch selber ein bisschen auf die Schultern klopfen, lieber Herr Pfarrer Taut und liebe Damen und Herren des Kirchengemeinderats!

Diese Renovierung hat ja alle Beteiligten ganz schön herausgefordert: organisatorisch, finanziell und vielleicht auch theologisch. Im Matthäus-Evangelium heißt es: „wo zwei oder drei zusammen sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“. Brauchen wir dann überhaupt große, aufwändig gebaute Kirchen? So könnte man fragen. Sie haben ja sehr deutlich gemacht, dass und wie Ihr Gemeindeleben auch ohne ihr Kirchengebäude weitergehen konnte. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, lieber Herr Pfarrer Taut, dass Ihre Gemeinde sehr lebendig ist, mit oder ohne Kirchengebäude.

Und doch, meine Damen und Herren: Wenn ich überlege, dass der NABU viele Kirchen im Land – darunter auch Ihre hier in Mötzingen – als Lebensraum für seltene Vogelarten zertifiziert hat – dann finde ich, dass in diesen Kirchen nicht nur Platz für Schwalben und Eulen sein sollte,  sondern auch für Menschen. Wenn ich überlege, dass immer mehr Kirchen umfunktioniert werden, zu Bars oder Discotheken oder Fitnessstudios, dann freut es mich ganz besonders, wenn eine Kirche weiterhin erhalten bleibt als Ort für den Gottesdienst.

Gott braucht sicher keine Kirche, um unter uns Menschen zu kommen. Aber uns hilft es doch, solch einen Ort zu haben. Einen Ort der Andacht und des Gebets, einen Ort für Musik und Predigt. Und der sakrale Raum, das erhabene Gebäude, das tut uns gut, das weist über uns hinaus, das trägt dazu bei, dass wir uns Gott näher fühlen.

Da hat sich eigentlich nichts geändert seit dem mittelalterlichen Kathedralenbau, um nochmal an den zitierten Roman anzuknüpfen. Deswegen freut es mich sehr, meine Damen und Herren,  dass Sie Ihre Kirche nun wieder zurückhaben, dass demnächst alles „unter Dach und Fach“ ist. Ich wünsche Ihnen unter diesem Dach und in diesem neuen Fachwerk schöne Gottesdienste – hoffentlich bald ohne Einschränkungen durch die Corona-Pandemie!