Gründung der Aktion Hoffnungland

Meine sehr geehrte Damen und Herren,

„Aufbruch ins Hoffnungsland“:selten hat der Name einer Veranstaltung so danach gerufen, ihn mit einer biblischen Geschichte in Zusammenhang zu bringen, wie Ihre heute. Aber Sie verstehen sicherlich, dass ich mich hier und heute nicht an eine Bibelexegese wage. Dazu gibt es berufenere Experten unter Ihnen. Ich möchte – und wenn Sie wissen, dass ich meiner Jugend Germanistik studiert habe, werden Sie das nachvollziehen können – lieber einen Anknüpfungspunkt in der Literatur suchen.

Dieses Jahr feiert nämlich eine Geschichte ihren 300-jährigen Geburtstag, die sehr gut zu einem Hoffnungsland passt: die Geschichte von Robinson Crusoe. Auf der einen Seite ist „Robinson Crusoe“ ganz und gar eine Geschichte ihrer Zeit – des frühen 18. Jahrhunderts. Ihr Verfasser, der Engländer Daniel Defoe, hatte zwar Ansichten, die uns heute durchaus als modern erscheinen können, z.B. zur Emanzipation der Frau oder zum Thema Migration. Aber er schrieb aus seiner Zeit heraus und auch im Gestus eines Kolonialherren, für den andere Völker unzivilisierte „Wilde“ waren.

Auf der anderen Seite hat seine Geschichte Generationen nach ihm immer wieder berührt. Denn sie spricht Grundmotive des Menschseins an, sie wirft  den Menschen auf seine bloße Existenz zurück. Nicht umsonst regt der Topos auch heute noch immer wieder zu neuen Ausgestaltungen an. Die Reihe derjenigen, die diese Geschichte umgeschrieben, modernisiert und humanisiert haben, zieht sich von Jean-Jaques Rousseau über Jules Vernes, bis hin zu Arno Schmidt. Und die sog.  „Robinsonade“  wurde zur eigenen Gattung der Literaturgeschichte. Und blickt man auf diese „Robinsonaden“, finden wir spannende Vergleiche zu Ihrem Hoffnungsland.

Am Anfang jeder Robinson-Geschichte steht zwar ein Aufbruch. Dem folgt aber ganz schnell eine Ernüchterung: Ein Schiffsbruch, eine wie auch immer geartete Katastrophe. Plötzlich steht der Protagonist alleine auf einer unbekannten Insel, in einer lebensfeindlichen Umgebung, ohne Wasser und Brot, ohne Dach über dem Kopf, ohne Freunde, ohne Hilfe.

Und auch Sie von der Apis betreten mit Ihrem Hilfswerk raues, unerquickliches Terrain:

Wir können es ja täglich in der Zeitung lesen:

  • von Menschen, die unter Lebensgefahr aus dem mörderischen Krieg in Syrien fliehen.
  • Von den Ermittlungen nach dem Anschlag in Halle. Von wieder aufflammendem Antisemitismus und Rassismus.
  • Von einer Gesellschaft, die sich über Gegensätze – Jung oder Alt, Links oder Rechts, Christ oder Muslim – definiert, anstatt nach Gemeinsamkeiten, nach dem Verbindenden zu suchen.

Viele Gründe auf dem ersten Blick also, genauso verzweifelt und erschrocken zu sein, wie Robinson auf seiner unwirtlichen Insel.

Was also tun? Robinson Crusoe behilft sich bald nach seiner Landung mit drei Werkzeugen: Erstens: Er packt an. Mit Arbeitseifer und Ordnungssinn schafft er sich einen Platz zum Leben, eine Wohnung.

Und ähnlich handeln auch Sie: Sie lassen nicht den Kopf hängen, sondern schreiten zur Tat: Mit der sprichwörtlichen protestantischen Arbeitsmoral, die unser Land so stark prägt.

  • Wo Jugendlichen Freizeitmöglichkeiten, Freunde, Orientierung fehlen
  • Wo voll berufstätige Eltern nicht rund um die Uhr für ihre Kinder da sein können:

Da bieten Sie mit der „Homezone“ ein Zuhause und schaffen an 30 Orten mit Musikschulen Abhilfe.

  • Wo Geflüchtete sich schwertun, sich in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache und einer beinahe berüchtigten Bürokratie zurechtzufinden:

Da bieten sie in Ofterdingen ein vorbildliches Netzwerk an Hilfsmaßnahmen.

  • Wo junge Frauen unter untermenschlichen Bedingungen als Prostituierte ausgebeutet werden:

Da ermöglichen sie mit dem Hoffnungs-Haus einen sicheren Rückzugs- und Beratungsort.

  • Und wo Menschen mit Behinderung ausgegrenzt, schief angeschaut, gemieden werden:

Da gehen Sie den umgekehrten Weg und veranstalten seit über 40 Jahren Begegnungen und gemeinsame Freizeiten.

Mit solchen Orten ist es aber nicht getan. In den „Robinsonaden“ kommt ein zweiter Überlebensfaktor hinzu: Die Gemeinschaft.

Der Robinson Crusoe von 1719 findet in Freitag einen treuen Gefährten und später weitere Verbündete. Während diese Beziehungen in der Ursprungsversion von Daniel Defoe noch sehr ungleich ausgestaltet ist und Kritiker des Kolonialismus auf den Plan ruft, wurde sie von späteren Robinson-Autoren partnerschaftlicher gedeutet und es wurde deutlich gemacht:
Hilfe ist immer ein Geben und ein Nehmen.

Und das wird ja auch bei Ihnen im Hoffnungsland sehr deutlich:

  • Hinter all diesen Angeboten
  • an all diesen Orten
  • zu all diesen Stunden

stehen Menschen. Nämlich 500 Mitarbeiter, weit über 1000 Ehrenamtliche. Nämlich: Sie. Menschen, die sich sagen: „Ich habe schon mit meinem Bürojob, meinen Kindern, meiner Familie zu tun. Aber ich opfere nun auch noch meinen freien Nachmittag, um für andere da zu sein.“ Oder die sich sogar sagen: „Dieser sozialen Aufgabe widme ich mein Erwerbsleben.“

Und ich hoffe, dass auch ihre Arbeit nicht einseitig ist.

Dass Sie..

  • in dem Lächeln des Kindes, das sein Instrument meistert,
  • oder der Umarmung einer Flüchtlingsfamilie, der Sie eine Bleibe vermittelt haben

… auch etwas Bestätigung zurück erhalten!

Bei alledem können Sie sich auch an etwas Drittes erinnern, das Robinson Crusoe auf seiner einsamen Insel half. Der Autor Daniel Defoe lässt seinen Helden in seiner Einsamkeit wieder zu Gott finden. Sein Glaube gibt ihm die Kraft, seine Aufgabe zu bewältigen. Dies ist vielleicht die eigentliche, die zentrale Aussage  der  „Robinson Crusoe“-Geschichte: Der Glaube an Gott gibt Kraft. Denn wie schon gesagt:  Der Roman startet mit einer Katastrophe. Es könnte eine Endzeitgeschichte werden mit dramatischem, trostlosen Ausgang. Doch mit den Jahren beginnt der Protagonist sich auf seiner Insel wohl zu fühlen, er richtet sich ein, er findet einen anderen Menschen. Er findet dort seinen Frieden.

Aus einer Dystopie wird eine Utopie.

Und diese Geisteshaltung sollte uns Christen doch ureigen sein: Natürlich finden wir in unserer Welt viele Herausforderungen vor. Aber die gab es schon immer und wird es auch immer geben. Aber mit dem Optimismus, den wir aus dem Evangelium ziehen, lässt sich all diesem mit Hoffnung begegnen. Damit lässt sich unser Land in ein Hoffnungsland verwandeln. Nicht aufgeben, sondern anpacken, das tun Sie in der Apis und dafür danke ich Ihnen auch und gerade als Politikerin. Denn: Der Staat und wir Politiker können nicht all den Problemen, die ich oben angesprochen habe, alleine begegnen. Nein, wir brauchen Gemeinschaftssinn, Zusammenhalt, Solidarität und Nächstenliebe, um die Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen. Und die können nicht von oben verordnet, sondern nur von unten gelebt werden. Genau dies tun Sie: Sie leben diese Werte, auf denen unsere Staatswesen, auf denen unsere Demokratie gründet.

Dafür danke ich Ihnen ganz herzlich!