Frauen für den Frieden

Sehr geehrten Damen und Herren,

am 8. März, am Weltfrauentag, habe ich im Internet ein Bild gesehen: Frauen knüpfen ein Tarnnetz. Aus olivfarbenen Stofffetzen. Zur Verteidigung. Zu ihrer Sicherheit. Darunter stand sinngemäß der Satz: „So verbringen die Urkrainerinnen den Weltfrauentag“.

Dieses Foto, meine Damen und Herren,

hat mich sehr berührt.

Unter all den Posts zum Weltfrauentag hat mich dieses am meisten zum Nachdenken gebracht.

Denn es stellt für mich die Frage:

Was ist am wichtigsten? Was hat Priorität?

Beschäftigen wir uns hier in Deutschland,

in Baden-Württemberg, in Herrenberg wirklich immer mit den Problemen, die wichtig sind?

Müssen wir umdenken?

Muss gerade meine Generation umdenken?

Lieber Herr Gill, ich habe noch die Ausgabe Ihres Fotobuchs „Frauen für den Frieden“ von 2019 mit einer schönen Widmung von Ihnen zu Hause prominent im Bücherschrank stehen.

Die Frauen, die Sie darin abgelichtet haben, waren zum allergrößten Teil Frauen meiner Generation und älter. Keine von uns musste kämpfen wie die mutigen Frauenrechtlerinnen, denen Sie ihr Buch gewidmet haben.

Das Wahlrecht wurde uns in den Schoß gelegt. Wir sind alle in Frieden und Wohlstand aufgewachsen.

Wir alle und genauso unsere Töchter.

Sie, lieber Herr Gill, erheben Ihre Stimme seit vielen Jahren gegen den Krieg und für die Frauen als Friedensstifterinnen.

Sie tun dies unermüdlich und überzeugend und ich durfte Ihre Ausstellungen schon mehrmals mit eröffnen und ich war immer glücklich und dankbar, in Ihnen solch einen überzeugenden Fürsprecher für den Frieden zu erleben. Sie geben dem Ausdruck, was wir so intensiv fühlen und wünschen.

Aber heute fragen wir: Haben wir falsch gefühlt und gewünscht, haben wir uns selber etwas vorgemacht? Haben wir es uns vielleicht zu einfach und zu bequem gemacht?

Denn jetzt, wo ein rücksichtsloser und brutaler Machthaber, ein „Chauvi“, wie wir ihn uns kaum noch vorstellen konnten, seinen Krieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, einen Angriffskrieg, wie wir ihn nur aus den Geschichtsbüchern kennen,

wo ein echter Krieg so nahe an uns heranrückt,

da werden wir plötzlich nochmal ganz anders wachgerüttelt.

Als ich das erste Mal bei „Frauen für den Frieden“ sprechen durfte,

habe ich das Frauenwahlrecht und die Mütter des Grundgesetzes thematisiert.

Nun haben wir die Frauen in Belarus gesehen, die aus der Politik heraus gedrängt werden sollten und dagegen unter dem Einsatz ihres Lebens kämpften.

Und nun sehen wir aktuell, wie Russland verhindern will, dass eine ganze Gesellschaft – Männer wie Frauen – ihre Zukunft frei wählen und ihr Leben selbst bestimmen darf,

wie die Werte, die wir für grundlegend für alle Menschen und für das menschliche Zusammenleben halten,

mit Füßen getreten werden.

·       Wir sehen Bilder aus der Ukraine, die mit den Fotos von Ihnen, lieber Herr Gill, überhaupt nicht zusammenpassen.

·       Immer wieder sehen wir Frauen.

·       Frauen, die mit kleinen Kindern über die Grenze nach Polen fliehen nicht viel als ihr  am Körper und leisen Hoffnungen.

·       Frauen, die in Kellern und Metrostationen Zuflucht suchen.
Wie jene Ukrainerin, die in einer U-Bahn-Station ihre Tochter „Mia“ geboren hat, deren Geschichte Außenministerin Baerbock so eindrücklich vor der UN-Vollversammlung erzählte.
·       Aber auch Frauen an und hinter der Front, sei es beim Flechten von Tarnnetzen oder an der Waffe an der Seite ihrer Männer.
·       Und gestern die russisch-ukrainischer Journalistein, die so mutig die Putin’sche Propaganda anprangerte.

Wir erwachen aus einem Traum.

Aus dem Traum des ewigen, garantierten Friedens, zumindest im Westen.

Wir hätten es natürlich früher merken können.

Ich erinnere mich daran, dass mein Mann und ich 2014 eine Weile einen ukrainischen Austauschstudenten beherbergt haben.

Ein junger Mann, nur wenige Jahre älter als unser eigener Sohn.

Aber so anders. So verschlossen und unzugänglich, so rau.

Warum war er so?

Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, als er von seinem Handy aufschaute und sagte: Jetzt wird zu Hause gerade der Jahrgang über mir zum Militär eingezogen. Als nächstes bin ich dran.

Dieser junge Ukrainer an meinem Esstisch machte mir klar: Wir leben in völlig verschiedenen Welten und meine Vorstellungskraft reicht nicht aus,

um seine zu verstehen.

Und dann habe ich das einfach wieder verdrängt. Die Besetzung der Krim ist ja dann auch weitgehend aus unseren Nachrichtensendungen verschwunden.

Wir konnten das alle ganz gut verdrängen.

In der FAZ vom 27.Februar sprach jüngst die 34jährige Militärexpertin Ulrike Frank über das Gefühl ihrer Millenial-Generation. [Link] Ich habe aber den Eindruck, ihre Worte gelten auch für meine Generation. Und vielleicht werden auch Sie sich, meine Damen und Herren, in diesen Worten wiedererkennen.

Ich zitiere zusammenfassend: „Meine Generation neigt dazu, die historische Ausnahmesituation ihrer Jugend für die Normalität zu halten. Wir können uns grundsätzlichen geopolitischen Wandel kaum vorstellen, weil wir ihn nie erlebt haben. Meine Generation tut sich schwer mit dem Gedanken, dass mit militärischen Mitteln durchgesetzte Machtpolitik eine Realität ist, die Antworten erfordert. … Wir glaubten, allein Handel, Wirtschaft und Globalisierung seien entscheidend… Aber wir brauchen ein Mindestmaß an militärischen Fähigkeiten, damit Krieg unwahrscheinlicher wird.“

Meine Damen und Herren: Ich glaube, Ulrike Franke spricht da einen wunden Punkt bei den meisten von uns an.

Der Pazifismus, wie wir ihn verstanden und praktiziert haben, der trägt nicht mehr.

Wir erwachen aus einem schönen Traum.

Und wir können froh sein, wenn dieser Krieg vor unserer Haustür uns nur insofern berührt, dass wir Flüchtlinge aufnehmen müssen.

Das allerdings in einer Zahl, die möglicherweise alles, was wir bisher in diesem Bereich zu leisten hatten, in den Schatten stellen wird. Es wird nicht bei den 73 Waisenkindern bleiben, die das Landratsamt gerade in Böblingen unterbringen konnte. Wir ahnen vielleicht noch gar nicht, was uns bevorsteht.

Ich glaube, Europa erlebt gerade seinen eigenen 9/11-Moment. Auch in den USA wurden nach dem Angriff auf die Twintowers im September 2011 alte Glaubenssätze fundamental infrage gestellt.

Muss, wer Frieden will, sich für den Krieg rüsten, wie ein altes lateinisches Sprichwort sagt?

[„Si vis pacem, para bellum“– lateinisches Sprichwort]

Ja, meine Damen und Herren, wir müssen vieles auf den Prüfstand stellen.

Das fängt damit an,

–      dass wir unsere Polizisten in Uniform nicht unter Generalverdacht stellen,

–      dass wir Soldaten nicht als Mörder bezeichnen

–      dass wir militärische Ausrüstung nicht als Kriegstreiberei betrachten sondern als ultima ratio für unsere Verteidigung

–      dass wir Männer nicht per se als gewalttätig ansehen und

–      Frauen nicht grundsätzlich für die besseren Menschen halten.

Aber wir müssen auch aufpassen, dass das historische Pendel jetzt nicht ungehemmt in die andere Richtung ausschlägt. Denn Militarismus  und darf keine Alternative für Deutschland sein.

Mir hat sehr eingeleuchtet, was ich vor zwei Wochen in einer Schaltkonferenz von dem bisherigen Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, gehört habe.

Er appelliert eindringlich dafür, die Diplomatie als Fortsetzung dieses jähen Krieges zu betrachten und alles dafür zu tun, dass Diplomatie möglich bleibt.

Das ist eine schwierige Gratwanderung und ich finde, Putin macht es uns nicht leicht, diese Haltung einzunehmen.

Aber: „Gib deinem Gegner eine goldene Brücke, über die er sich zurückziehen kann“ – dieser Spruch, der einem chinesischen General von vor zweieinhalb Tausend Jahren zugeschrieben wird, hat nichts von seiner Richtigkeit verloren.

 

Auch jetzt darf man die letzten Türen der Diplomatie nicht zuschlagen.

Und vielleicht, meine Damen, können wir zu dieser Haltung etwas beitragen. Mit dem neuerlichen Appell, der von der Ausstellung hier in der Stadtbücherei in Herrenberg ausgeht:

Frauen wollen den Frieden.

Wir wollen Konflikte lösen und nicht schüren.

Paramjeet Gills Bilder zeigen so viele starke Frauen: Besinnen wir uns also darauf, welche Stärken uns zu Konfliktlöserinnen machen.

Wir dürfen nicht weiterträumen, aber wir wollen nach dem Aufwachen auch nicht in einer bis an die Zähne bewaffneten Welt leben,

in einer Gesellschaft, die nur noch Freund oder Feind kennt,

die nicht fragt sondern angreift,

die kein Geld mehr übrig hat für soziale, kulturelle und umweltpolitische Aufgaben.

 

–       Lassen wir uns also auch heute wieder inspirieren von Paramjeets Gills Bildern,
–      lassen wir uns von der Kunst zeigen, was über die Realität hinausweist,
–      Halten wir den Wunsch nach Frieden aufrecht und leisten wir unseren Beitrag dazu und zwar nicht verträumt sondern ganz reell.