Blumhardt-Tagung der Ev. Akademie Bad Boll

„Enttäuscht von Kirche und SPD“ –

so lautet die Überschrift  eines Beitrags über Christoph Blumhardt, der kürzlich (Nr. 29/2019) im Evangelischen Gemeindeblatt in Württemberg erschien.

Aber nun, meine Damen und Herren, darf ich heute hier in Bad Boll, in der traditionsreichen Evangelischen Akademie der württembergischen Landeskirche zu Ihnen sprechen bei einer Blumhardt-Tagung.

Angesichts dieses Titels „Enttäuscht von Kirche und SPD“ ist es bemerkenswert, dass es eine kirchliche Einrichtung ist, die an diesem Wochenende diese Veranstaltung zum 100. Todestag dieses Mannes durchführt und seiner so hochachtungsvoll und würdigend gedenkt. Und nicht nur die Kirche würdigt ihn: Auch die SPD gibt sich hier heute ein Stelldichein.

Ja, Blumhardt war von der Kirche enttäuscht und später auch von der Partei, bei der er anfangs meinte, Unterstützung für seine Reich-Gottes-Hoffnung zu finden.

Blumhardt war wohl mit seinem Glauben, Hoffen und Lieben ein Solitär; jemand, der ganz auf den Einzelnen setzte, der das Individuum im Blick hatte.

Und er litt an seiner Kirche. Er litt an einem „gläubigen Christentum ohne Glauben“ und schrieb seiner Kirche ins Stammbuch:
„Das ist am Ende das Schlimmste. Glauben haben und doch Unglauben, einen Heiland haben und ihm nichts zutrauen, von einem Heiland reden, vor welchem sich noch alle Knie beugen müssen, und es doch nicht glauben, doch eigentlich glauben, als ob der Teufel mächtiger wäre, und deshalb nicht den Mut haben, mit Ernst zu bitten um das, was verheißen ist.“

Und verheißen, so seine feste Überzeugung, sei eben das kommende Reich Gottes.

Wir spüren aus diesen Worten die Kraft, ja die Wucht eines persönlichen Glaubens, wie er besonders dem Pietismus eigen ist.

Aber bei Blumhardt nimmt dieser persönliche Glaube eine andere Wendung: Er sieht den Ort dieses Reiches Gottes auf der Erde. Er will nicht vertrösten auf das Jenseits. Er leidet am Mangel im Diesseits, an Armut und Elend, an Benachteiligung und Ungerechtigkeit.

Und er will, dass Abhilfe geschaffen wird: Jetzt und hier und sofort. Er geht davon aus,  „dass Gott nun eine neue Wirklichkeit schafft auf Erden, zunächst unter den Menschen, dann auch übergehend auf die ganze Schöpfung, sodass Himmel und Erde neu werden in einer neuen Wirklichkeit.“

Utopistisch, maximalistisch, 100-prozentig – so habe ich das als Politikwissenschaftlerin im Studium gelernt einzuordnen und damit hat Blumhardt viele Verbündete in der Geschichte und auch wieder in unserer aktuellen Zeit.

Denken wir nur an die Jugendlichen von Fridays for Future, die auf schnelle und wirksame Änderungen in der Umweltpolitik und für den Klimaschutz drängen, alles diesem einzigen  Ziel unterordnen und keine Zeit mehr verlieren wollen.

Aber auch heute würde sich Blumhardt vermutlich nicht vereinnahmen lassen und auch dieser Bewegung und anderen Parteien eine Absage erteilen, wie er es ja auch mit der SPD gemacht hat.

Vielleicht würde er auch ihnen heute das Gleiche sagen, was er damals über seine Erfahrungen mit der SPD gesagt hat, nämlich:

„Der Versuch, meine Gottesidee ins Irdische zu tragen, konnte keine Wurzel bekommen in einer Zeit, da die Menschen von Hoffnungen erfüllt sind, sie und sie allein könnten eine Menschheit des Glückes schaffen.“

Ich verstehe dieses Zitat so, dass er aus seinem Glauben heraus skeptisch war gegenüber der Annahme, die Menschen könnten aus eigener Kraft das Paradies auf Erden schaffen. Für ihn war klar: Gott muss seinen Teil dazu beitragen.

Für mich als Politikerin der Partei, die das C im Namen trägt, ist es ganz eindeutig: Wir machen keine christliche Politik, wir vermischen nicht Politik und Religion. Sondern wir machen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes. Christliche Werte dienen uns – wie natürlich auch Christen in anderen Parteien – nur als Kompass.

Christen in der Politik werden durch ihren Glauben motiviert, politisch zu arbeiten. Durch den Glauben bekommen wir z.B. die Geduld, „dicke Bretter zu bohren“ (Max Weber), was ja in der politischen Arbeit sehr wichtig ist. Aufgrund unseres Glaubens wissen wir  um die Fehlerhaftigkeit des Menschen und darum, dass wir immer wieder Fehler machen werden,  aber auch, dass wir Fehler machen dürfen, denn wir wissen, dass wir auf Vergebung hoffen dürfen.

Wir Menschen sind nicht vollkommen, wir bewegen uns im Bereich des „Vorletzten“. Dietrich Bonhoeffer, der ja gerne mit Blumhardt in Beziehung gesetzt wird, unterscheidet bekanntlich „das Vorletzte, in dem wir leben“ vom „Letzten, das wir glauben.“

Diese Trennung, so scheint mir, ist in der Bundesrepublik von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger akzeptiert, ja sie ist Teil unserer politischen Kultur geworden.

Warum brauchen wir dennochMenschen wie Christoph Blumhardt, die Vorletztes und Letztes eng, vielleicht gelegentlich auch zu eng, verknüpfen wollen?

Wir brauchen diese Stimmen, die unbequem sein können, ja anstrengend. Diese Mahner, die uns zwingen, aus unseren Routinen auch im Denken erauszukommen.

Die starke, ja auch provokante Worte finden, aber immer in Liebe zu Gott und den Menschen, und die trotz Unzufriedenheit Hass und Gewalt keinen Raum geben.

Biblisch gesagt sind sie wie der Sauerteig, ohne den das Brot nichts wird. Ohne ihre Frage-stellungen und Utopien verändern wir die Zukunft nicht.

Allerdings: Alleine mit solch charismatischen, prophetischen Persönlichkeiten wie Blumhardt könnten wir keinen Staat machen. Wir brauchen Strukturen und Institutionen wie Parteien und Kirchen, um unsere Gesellschaft zu organisieren, zu gestalten und unser Staatswesen zu formen, davon bin ich persönlich fest überzeugt.

Natürlich sind diese Organisationen nicht um ihrer selbst willen da. Sie dürfen sich nicht verselbständigen und abgehoben agieren.Sie müssen ihre dienende Rolle behalten und deswegen müssen sie von unten herauf aufgebaut und von verantwortungsbewussten  Personen gelebt werden.

Dazu wiederum braucht es selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger. Menschen, die, wenn es sein muss, laut werden, auf Demonstrationen gehen und Politik wie Gesellschaft den Spiegel vorhalten – wie jetzt die junge Generation um Greta Thunberg.

Während des Reformationsjubiläum, meine Damen und Herren,  ist es mir wieder ganz deutlich geworden: Die Reformation war eine Bildungsbewegung – und  sie hat Bildung bis heute geprägt. Der Reformation verdanken wir das Wissen darum, wie wichtig Bildung ist. Bildung ist wichtig für den Einzelnen, für  das Individuum, aber auch für die Gemeinschaft und das Staatswesen. Nur auf der Basis eines reflektierenden persönlichen Bewusstseins  der Bürgerinnen und Bürger kann der Staat von unten her aufgebaut werden.

Nur auf der Basis einer Bildung, die Kopf, Herz und Hand umfasst, einer ganzheitlichen Bildung, einer humanen Bildung, können Menschen Werte entwickeln, die sie dann einspeisen in die Parteien, Verbände und Vereinigungen und damit  in die gesellschaftliche Meinungsbildung und von dort aus in die politische Willensbildung  – wie es ja im Grundgesetz vorgesehen ist – und damit gestalten die Bürgerinnen und Bürger unsere Demokratie.

So können wir aus einer vitalen Gesellschaft heraus,  zu deren Kraft ich auch den christlichen Glauben zähle, an einem Staat bauen, der die Lebens-Werteschützt.

Deswegen danke ich der Evangelischen Akademie Bad Boll sehr herzlich für Ihren Beitrag, den sie zur Bildung in unserem Land leisten. Sie bieten einen Ort für Dialog und Diskurs, für Spruch und Widerspruch. Einen Ort, an dem auch bei unterschiedlichsten Meinungen Verbindendes, Überbrückendes gesucht wird und Dialog stattfindet – so wie es das schöne Bild der Brücke zeigt, das ja das Symbol Ihrer Akademie ist. Wir sind auf solche Foren angewiesen, die nicht der Versuchung erliegen, selber Partei zu sein. Unseren Glauben bringen Sie dabei mit ins Spiel – Danke auch dafür!

Eingangs habe ich gefragt, warum wir im kirchlichen Raum eines Theologen gedenken, den seine Kirche genötigt hat, den Titel eines Pfarrers abzulegen, weil dieser einer Partei beitrat, die damals den Atheismus im Programm hatte.

Nun ist überliefert, so habe ich es gehört, dass drüben auf dem Friedhof vor 40 Jahren der damalige Landesbischof Claß gefragt worden ist, weshalb auf Blumhardts Grabstein steht: „Christoph Blumhardt Pfarrer“. Die Landeskirche habe ihn doch dazu angehalten, den Titel abzulegen.

Claß‘ Antwort in Erinnerung an ein Wort Luthers lautete: „Kirchen und Konzile können irren und haben geirrt“.

Ich finde das ganz wunderbar, diese Eingeständnis, schon vor 40 Jahren, dass die Institution Kirche einen Fehler gemacht habe.

Gerne bin ich in einer Kirche, die auch bei sich selber Irrtum erkennt und eingestehen kann und auch diese Erkenntnis nehme ich gerne in meine politische Arbeit mit.