Ausstellungseröffnung „Netzwerkerinnen der Moderne“

Sehr geehrte Damen und Herren,

Dieses Jahr 2019 war ein Jahr der Jubiläen. In vielfacher Hinsicht konnten wir in den vergangenen Monaten Jahrestage feiern – in der Politik – in der Gesellschaft – in der Kunst. Und eigentlich sind all diese Jubiläen miteinander verwoben:

Schauen wir auf die Seite der Politik:

  • 100 Jahre Weimarer Republik und
  • 100 Jahre Frauenwahlrecht und
  • 70 Jahre Grundgesetz

und auf Seiten der Kultur

  • 100 Jahre Frauenstudium und
  • 100 Jahre Bauhaus-Architektur

Liebe Frau Steimel, Sie verknüpfen und vernetzen hier in der Städtischen Galerie Böblingen ganz viel, was mit diesen Jubiläen zu tun hat:

  1. Sie brechen auf unsere Raumschaft herunter, was sich auf nationaler Ebene entwickelt hat.
  1. Sie kombinieren politische und künstlerische Ereignisse
  2. Sie vernetzen Frauen: Ein Blick auf die Zusammensetzung der Jury, die die jetzt ausgestellten Werke ausgewählt hat, zeigt, welch gute Kontakte Sie zu Fachfrauen inm Südwesten unterhalten.

 

Sie sind also selber eine tüchtige Netzwerkerin und schon dafür möchte ich Ihnen ein großes Kompliment aussprechen und dies mit meinem herzlichen Dank für Ihre heutige Einladung verbinden. Zum dritten Mal widmen Sie eine Ausstellung – und flankieren sie mit einem beeindruckenden Begleitprogramm – hier in Böblingen der Frage, wie sich Künstlerinnen in  Vergangenheit und Gegenwart im Kunstbetrieb behauptet haben bzw. heutzutage behaupten können.

Lassen Sie uns einen Blick zurück in die Geschichte werfen – einerseits politisch, andererseits kulturell: Nach den Entbehrungen und dem Elend des Ersten  Weltkrieges wagten sich die Menschen mit der Weimarer Republik an die Demokratie und mit dem Beginn der 20er Jahre machte sich Aufbruchstimmung breit. Zum ersten Mal gab es eine Demokratie in Deutschland und dazu kam: Die Frauen durften mitmachen. Sie hatten 1918 ein lang erkämpftes Ziel erreicht: Sie durften wählen und sich selbst um politische Ämter bewerben. In Weimar begründete Walter Gropius das Bauhaus. Sie wissen: Walter Gropius konzipierte bei uns, in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, zwei Häuser, wie auch Le Corbusier, dessen Häuser ja seit 2016  zum Unesco Weltkulturerbe gehören. Am Bauhaus ließ Gropius Frauen zunächst relativ uneingeschränkt zum Kunststudium zu. Das galt als wirklich fortschrittlich. Denn: Frauen in der Kunst, das war Jahrhunderte lang nicht denkbar. Zitat: „Es gibt so viele schlechte Künstlerinnen und so wenig gute Köchinnen“, mit solchen Aussagen wurden Frauen noch im vergangenen, im 20. Jahrhundert konfrontiert.

Und auch in den Bauhauszeiten war an echte Gleichberechtigung noch nicht zu denken: Auch wenn Walter Gropius Frauen in Weimar zum Studium zuließ: Sie mussten höhere Studiengebühren zahlen, sollten sich mit der textilen Kunst in der Weberei begnügen –  und wenn sie heirateten und Kinder bekamen, dann ging man davon aus, dass es das dann war mit dem Kunststudium.

Aber, meine Damen und Herren, wir hier im Ländle waren historisch gesehen richtig fortschrittlich: In Stuttgart durften Frauen bereits seit 1860 an der Königlichen Kunstschule studieren, in sog. „Damenklassen“, die dann später, nach 1910, von Adolf Hölzel für einige Jahre nochmals eingerichtet wurden.

In der Ausstellung „Die Klasse der Damen – Künstlerinnen erobern die Moderne“, haben Sie,  liebe Frau Steimel, ja vor vier Jahren unseren Blick auf diese  sog. „Malweiber“ gelenkt. Aber auch für diese Malerinnen galten wie überall zwei Tabus. Denn der Artikel 3 des Grundgesetzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ war noch nicht erfunden worden.  Der ist ja erst 70 Jahre alt.

  1. Zum einen waren Aktstudien tabu – es galt als unvorstellbar und unziemlich, dass sich Frauen in die Betrachtung eines männlichen Körpers vertieften
  2. und zum Zweiten: eigene Atelierräume waren ihnen verwehrt.

Ende des 19. Jahrhunderts wählten die Künstlerinnen dann ein Mittel zur Selbstbestimmung, das auch im politischen Bereich Mode wurde: Frauen schlossen sich in Vereinen zusammen. In Stuttgart gründete Sally Wiest, deren Bilder Sie auch in unserer heutigen Ausstellung sehen können, zusammen mit Anna Peters 1893 den Württembergischen Malerinnen-Verein. Das war der Vorläufer des Bundes Bildender Künstlerinnen Württembergs, der heute noch an gleicher Stelle, in der Eugenstraße 17, in Stuttgart vertreten ist. Es bildete sich also ein erstes Netzwerk, in dem sich die Künstlerinnen zusammenschlossen – auch wenn dieses Wort wahrscheinlich damals noch nicht gebräuchlich war. Aber die sogenannten Bünde oder Vereine boten einen gewissen Freiraum der künstlerischen Betätigung von Frauen.

Ähnliches  können wir auch im politischen Bereich erkennen: Das Preußische Vereinsgesetz  verbat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts politischen Vereinen noch explizit die Aufnahme von, ich zitiere: „Frauenpersonen, Schülern und Lehrlingen“. Wurde diese Regelung missachtet, wurden die Vereine und Versammlungen aufgelöst. In Württemberg war das nicht anders. Später wurde das Vereinsrecht gelockert. Und um die Jahrhundertwende herum gründeten sich drei verschiedene Vereine für das Frauenwahlrecht. Später schlossen sie sich zusammen zum „Deutschen Verband für Frauenstimmrecht“.

Unsere  Ausstellung heute spannt einen Bogen – oder sollte ich sagen: ein Netz? –  zwischen gestern und heute. Sie, liebe Frau Steimel, verbinden, zusammen mit den ausstellenden Künstlerinnen, aktuelle, moderne Arbeiten mit den Werken der Künstlerinnen aus dem beginnenden 19. Jahrhundert. Die Ausstellung greift dabei die beiden Tabus auf, mit denen Künstlerinnen früher konfrontiert waren und die sie zwangen, sich auf konventionelle Themen wir Blumen oder Landschaftsbilder zu konzentrieren.

Heute widmen sich die modernen Malerinnen ganz selbstverständlich auch dem Aktbild und sie thematisieren den Raum, den sie brauchen. Mittlerweile konnten sich die Malerinnen also sowohl den Akt also auch das Atelier erobern.

Insofern denke ich, dass wir nachher viel Fortschritt sehen werden, aber auch die eine oder andere Parallele zwischen gestern und heute erkennen werden. Denn in der Kunst spiegelt sich ja die jeweilige gesellschaftliche Wirklichkeit wider. Und da müssen wir uns, meine Damen und Herren, gerade auch anlässlich  des 100. Jubiläums von

  • uneingeschränktem Frauenkunststudium und
  • aktivem wie passivem Frauenwahlrecht

eingestehen, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern noch immer nicht vollständig erreicht worden ist.  Das gilt in der Kunst, aber auch in der Gesellschaft – denken Sie z.B. an den Sport – und eben auch in der Politik.

Zwar stammt heutzutage jedes dritte Kunstwerk in deutschen Museen von Frauen und an deutschen Kunsthochschulen stellen Studentinnen knapp die Mehrheit. Aber auf dem internationalen Auktionsmarkt sind die Werke von Frauen  oft rund 30 bis 60 Prozent weniger Wert als die ihrer männlichen Kollegen. “Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen?” das fragte die feministische Gruppe Guerilla Girls schon in den Achtzigerjahren und machte darauf aufmerksam, dass im Metropolitan Museum in New York damals (1989) nur fünf Prozent der Werke von Frauen stammten, während 85 Prozent der Akte weiblich waren.

Und seit letztem Jahr kämpft das  „Bündnis Kunst & Kind“ dafür, die Arbeitsbedingungen von Künstlerinnen mit Kindern zu verbessern, denn, meine Damen und Herren, sie können sich denken: das unstete und flexible Berufsleben von Künstlerinnen und Künstlern ist auch heute schwer mit einer Familie zu verbinden.

Museen versuchen mittlerweile immer öfter, den männlich dominierten Kunstbetrieb aufzubrechen. Das zeitgenössische Museum Ikob im belgischen Eupen etwa räumte für eine Ausstellung alle Werke männlicher Künstler ins Depot und zeigte nur noch die Werke von weiblichen Künstlerinnen.

Ihren Ansatz, liebe Frau Steimel, die Kunst von Frauen gerade in unserer Heimat, im Südwesten, bekannt zu machen, finde ich ganz großartig! Und ich freue mich sehr, lieber Herr Bürgermeister, dass Sie von kommunaler Seite die Städtische Galerie Böblingen so sehr unterstützen. Land und Kommunen verstehen sich als Partner, das wird gerade im Bereich der Kultur sehr deutlich. 50 Prozent der Ausgaben für Kultur werden in Baden-Württemberg nämlich von den Kommunen aufgebracht. Aber es geht ja nicht nur um’s Geld: Es geht auch um die ideelle Unterstützung. Und die scheint mir hier in Böblingen in ganz besonderem Maße gegeben zu sein.  Dazu gehört natürlich auch ein interessiertes Publikum. Daher, meine Damen und Herren, freue ich mich sehr, dass Sie heute so zahlreich zu dieser Ausstellungseröffnung gekommen sind und Ihr Interesse an dem Thema bekunden.

Ich wünsche Ihnen und uns allen viel Freude beim Entdecken der Werke und freue mich auf interessante Gespräche mit Ihnen im Anschluss.