Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn man in der Landeshauptstadt Stuttgart heute Abend nach kulturellen Veranstaltungen sucht, hätte man die Qual der Wahl:
- Das 4. Stuttgarter Märchenfest im Weißenburgpark
- Der „Tatortreiniger“ im Forum Theater
- Ein „Familienbrunch mit Musiktheater“ im Kulturzentrum Labyrinth.
- Auch laufen noch die Stuttgarter Flamencotage.
Um nur einiges zu nennen neben den Staatstheater und Museen, kirchlichen und privatwirtschaftlichen Angeboten in der knapp 30 km entfernten Landeshauptstadt.
Als Staatssekretärin im Ministerium für ländlichen Raum bin ich viel im Land unterwegs und komme dadurch auch in recht abgelegene Gegenden und kleine Gemeinden.
Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass es an vielen Orten nicht so ganz einfach ist, neben schöner Natur, guter Luft und wohltuender Stille auch mal ein kulturelles Angebot zu finden, um einen Abend oder das Wochenende anregend zu gestalten.
Nun kann man wahrlich nicht behaupten, Grafenau vor den Toren von Sindelfingen, Döffingen und Dätzingen im Großraum Stuttgart, gehörten zum Ländlichen Raum. Das mag sich manchmal so anfühlen, weil es hier so schön ist.
Vor 50 Jahren, als Sie Ihren Kulturkreis gegründet haben, hat sich das Leben hier i Grafenau sicherlich ländlicher angefühlt als heute in Ihrem Jubiläumsjahr.
Damals – drei Jahre nach der Verwaltungsreform und der Neugründung von Grafenau – haben 30 kunst- und kulturinteressierte Bürgerinnen und Bürger die Initiative ergriffen und ehrenamtlich Ihren Kulturkreis als Verein gegründet.
Ich finde das war eine großartige Initiative, zu der ich Sie alle nur auf das Herzlichste beglückwünschen kann und ich verneige mich respektvoll vor den Gründerinnen und Gründern!
Auch wenn Grafenau heute eine florierende Gemeinde ist mit Schulen und Kitas, mit Handel, Handwerk und Gewerbe, Einkaufsmöglichkeiten und Café, der weltweit renommierten Galerie Schlichtenmaier und dem Heimatmuseum im Malteserschloss, so ist es dennoch mit seinen knapp 7000 Einwohnern eine kleine Gemeinde.
Aber weder die Infrastruktur, die Grafenau vorweisen kann, noch die Wirtschaftslage sind typisch oder selbstverständlich für Kommunen dieser Größe.
Alles, was Grafenau so lebens- und liebenswert macht, beruht auf Anstrengung und Engagement, beruht auf klugen Entscheidungen eines Gemeinderats, der von umsichtigen, fürsorglichen und langjährig wirkenden Bürgermeistern geleitet wurde und wird, beruht auf selbständigen Unternehmern, die hier investieren und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
Vor allem aber beruht das Leben hier auf Bürgerinnen und Bürgern, die an ihrem Heimatort verwurzelt sind und sich stark engagieren:
In Vereinen und Kirchen, in sozialen Aktivitäten der Bürger-Stiftung oder wie Sie, verehrte Anwesende, in Ihrem Kulturkreis.
In den heutigen Zeiten wird immer schnell nach dem Staat gerufen. Er solle dieses regeln, jenes verbieten, solches fördern.
Natürlich stehen wir Politikerinnen und Politiker in der Verantwortung.
Aber zur Wahrheit gehört auch, dass gerade in unserer freiheitlichen Gesellschaft der Staat nicht alles ist und nicht alles kann.
Gerade Sie in den kleinen Gemeinden wissen das:
Dass es zum Zusammenleben auch ein Anpacken aller Mitglieder der Gesellschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten braucht.
In keinem Bundesland gibt es einen so großen Anteil an ehrenamtlich engagierten Menschen wie bei uns. 46% sind es – also fast jeder Zweite von uns!
Zu diesen Millionen Ehrenamtlern gehören Sie, lieber Herr van Dyck, Sie liebe Mitglieder aus den vier Arbeitskreisen „Konzert“, „Theater“, „Ausstellungen“ und Heimatmuseum“ –
und Sie alle, die Mitglieder des Kulturkreises.
Sie organisieren, telefonieren, klären Kontakte, rühren die Werbetrommel, packen mit an, damit bei Ihnen in Grafenau etwas kulturell geboten wird.
- Sie bieten den Grafenauern etwas zu Lachen, wenn Sie Comedians hier ins Schloss holen.
- Sie geben ihnen etwas zum Nachdenken, wenn Sie Ausstellungen in den Kunstkeller holen oder das Heimatmuseum öffnen.
- Und Sie schaffen etwas Ergreifendes, wenn es besondere Klänge beim Schlosskonzert gibt.
Natürlich könnten sich Kunstliebhaber auch ins Auto setzen und nach Böblingen, Sindelfingen oder Stuttgart fahren, um dort Kultur zu genießen.
Aber zum einen will man ja abends nach einem langen Arbeitstag oder an einem freien Wochenende nicht unbedingt noch auf der Autobahn stehen oder an der Bushaltestelle warten.
Und vielleicht mag man auch nicht untergehen in einem anonymen Publikum und anschließend alleine den Heimweg antreten.
Hier im Ort kann man vielleicht auch kurzentschlossen noch zu einer Veranstaltung dazu stoßen. Man kennt sich aus, sucht nicht lange nach einem Parkplatz, trifft Bekannte und kann nach der Veranstaltung noch miteinander schwätzen. Genau das macht die Arbeit des Kulturkreises über den Kunstgenuss hinaus so wertvoll!
Genau das trägt dazu bei,
dass wir miteinander im Gespräch bleiben,
dass wir Gelegenheit haben, uns auch über unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen auszutauschen,
dass wir es ausprobieren, sich auch mal in die Schuhe des Anderen zu stellen und
dass man am Rande eines Konzertes vielleicht merkt, wer nicht da war, weil er oder sie vielleicht krank ist und
dass man am nächsten Tag mal nachfragen kann, wie es geht, ob man etwas helfen kann.
Meine Damen und Herren:
Das ist der vielbeschworene gesellschaftliche Zusammenhalt.
Hier in Grafenau wird er gelebt!
Hier durch Ihren Kulturkreis wird er ermöglicht!
Meine Damen und Herren,
Kulturförderung in Deutschland wird von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam geschultert. Allerdings darf man mit Fug und Recht sagen, dass die Kommunen am meisten leisten.
Aber wir wissen alle: Kulturausgaben sind Freiwilligkeitsleistungen.
Die Gemeinden sind nicht dazu verpflichtet. Deswegen finde ich es so gefährlich, wenn unsere Kommunen jetzt finanziell in Schieflage geraten. Denn zuerst werden und müssen sie an diesen Freiwilligkeitsleistungen sparen. Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung sich jetzt daran macht, den Kommunen finanziell beizuspringen.
Denn wenn Kunst und Kultur beschnitten werden müssen, bedeutet das auch einen Verlust an Gemeinschaftsmöglichkeit,
an kultureller Bildung,
an Horizonterweiterung und eben und gerade an gesellschaftlichem Zusammenhalt.
Ihre Gründer, meine Damen und Herren, haben wahrscheinlich nicht als Erstes nach finanzieller Förderung durch die öffentliche Hand gefragt. Das war damals gar nicht so üblich wie heute. Schon gar nicht für kleine Kulturinitiativen.
Ich weiß das ein bisschen aus eigener Erfahrung. In meiner Heimatstadt bildete sich im Jahr vor meinem Abitur eine engagierte Gruppe von Lehrern und älteren Schülern, die den Verein für Kultur und Kommunikation gründeten und eine alte Scheune zum sog. Buchcafé umbauten.
Uns war langweilig damals in Hessen an der Zonengrenze. Dass man zu Kulturereignissen nach Kassel, Fulda oder gar Frankfurt fuhr, war ganz und gar unüblich. Also wollten wir unser eigenes Kulturzentrum aufbauen.
Es ist auch gelungen und vor einigen Jahren feierten wir das 40jährige Jubiläum.
Im Vergleich mit dem Buchcafé fällt mir auf, meine Damen und Herren:
etwas zu gründen, ist das Eine.
Es über Jahrzehnte hinweg am Laufen zu halten, ist das Andere.
Ihnen ist das gelungen, auch ohne institutionelle öffentliche Förderung. Allein durch konstantes ehrenamtliches Engagement.
Daher: Öffentliche Kulturförderung ist unbestritten notwendig. Aber ohne das ehrenamtliche und bürgerschaftliche Engagement wie von Ihnen hier im Kulturkreis Grafenau wäre sie unwirksam und es gäbe solche kleinen, feinen lokalen Kulturinitiativen wie hier in Grafenau nicht.
Wir hätten weniger Kunst und Kultur in Baden-Württemberg.
Wir hätten weniger kulturelle Bildung für alle Altersklassen und Gesellschaftsgruppen.
Wir hätten weniger gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Deswegen verbinde ich meinen Dank und meiner Anerkennung für die bisherigen erfolgreichen 50 Jahre mit der Bitte und der Ermunterung, weiter zu machen!
Bewahren Sie sich bitte Ihre Ausdauer und Ihr Engagement! Tragen Sie weiterhin Ihren Teil dazu bei, dass Kunst und Kultur bei uns lebendig bleiben.