Rede zum Festakt “50 Jahre Johannes-Kepler-Gymnasium Leonberg”

Sehr geehrter Herr Peters, liebe Frau Ruthardt, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Eltern und Schüler, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr darüber, dass ich heute zu Ihnen sprechen darf! Es ist mir wirklich eine große Ehre, dass ich hier stehen darf!
Herzlichen Dank für Ihre Einladung und ganz herzlichen Glückwunsch zu diesem beeindruckenden und auch für mich persönlich sehr emotionalen Jubiläum. Sie alle, meine Damen und Herren, haben einen wichtigen Beitrag für den Erfolg unserer Schule geleistet. Darauf können Sie sehr stolz sein!
Hinter all dem steht das tägliche Engagement der Schulleitung und der Lehrerschaft, der Hausmeister, der Sekretärinnen und vieler Anderer. Und natürlich auch der Einsatz der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern.
Ich selber durfte unsere drei Kinder in den Jahren zwischen 2000 und 2013 am JKG begleiten. Wir haben mit Lore noch das frühere G9 erlebt, Ulla hat ein vorgezogenes G8 und Julian ein reguläres G8 durchlaufen. Als Mutter möchte ich sagen: Das JKG hat jede Variante gut gemeistert! Jedem unserer Kinder wurde das notwendige Handwerkszeug für ein gelingendes Leben mit auf den Weg gegeben. Auch dafür meinen herzlichsten und ganz persönlichen Dank!
In meinen Augen haben Sie, lieber Herr Waldinger als Rektor, später dann gemeinsam mit Frau Ruthardt, der Schule eine sehr positive Prägung gegeben und Sie, lieber Herr Peters, haben diese gerne aufgenommen und weiterentwickelt. Ich finde, hier weht einfach ein guter Geist!
Die Elternarbeit hat dabei immer eine wichtige Rolle gespielt. Das prominenteste Beispiel ist sicherlich die Triangel. Aber auch die Frühstückstage, der Adventskranzverkauf und vieles andere mehr, boten uns Eltern Gelegenheit zu bereichernden Begegnungen und wertvollen Erfahrungen. Daraus hat sich so manche Freundschaft entwickelt, die bis heute besteht.
Das JKG ist nämlich nicht nur ein Ort des Lernens, sondern hier werden viele verschiedene Lebensbereiche in die Schule integriert.
„Das Beste findet sich dort, wo sich Fleiß mit Begabung verbindet“ dieses Motto von Johannes Kepler trifft hier besonders zu. Davon konnte ich mich z.B. auch beim letzten Schülerwettbewerb überzeugen. Den schreibt der Landtag alljährlich seit 1957 gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung aus. Ich war einige Jahre lang Beiratsvorsitzende des Schülerwettbewerbs und fühle mich ihm daher besonders verbunden.
Deswegen habe ich mich ganz arg gefreut, dass beim letzten Mal auch wieder JKG’ler teilgenommen haben, weil eine junge Lehrerin sie dazu motiviert hat. Es hängt eben doch immer an einzelnen Personen! Die anspruchsvollen Arbeiten der drei jungen Leute des JKG haben mich sehr beeindruckt. Hier haben sich ganz eindeutig Fleiß und Begabung wirkungsvoll verbunden!
Am JKG fühlt man sich auch dem „Keplerschen Geist des Suchens und Erforschens und seinem Streben nach Harmonie“ verpflichtet. Das ist ja eines der Leitmotive des JKG. Damit orientiert sich die Schule an einem humanistischen und naturwissenschaftlich ausgerichteten Bildungsideal.
 „Was ist gute Bildung?“ Diese Frage beschäftigt die Menschen schon seit jeher. Dabei geht es zum Einen darum, was der Mensch als Individuum können und wissen muss.
Und zum Zweiten geht es um die Frage, wie die Menschen gemeinschaftlich handeln müssen, um die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft in der Gesellschaft, im Staat und in der Wirtschaft bewältigen zu können?
Die Antworten auf diese Fragen ändern sich natürlich mit der Zeit. Heute wird ein Mensch für das Leben anderes Rüstzeug brauchen, als noch vor  200, 100 oder 50 Jahren. Unabhängig davon gibt es aber seit langem Normen und Grundsätze, die wir als wichtige Grundlage von Bildung ansehen.
Deswegen halte ich persönlich das humanistische Bildungsideal weiterhin für aktuell. Sie erinnern sich: Es geht auf den Sprachphilosophen und Bildungspolitiker Wilhelm von Humboldt zurück, der 1767 – 1835 lebte. Danach soll Bildung in erster Linie am Individuum und seiner ganz eigenen Persönlichkeit ansetzen. Das mag uns heute vielleicht selbstverständlich vorkommen. Aber damals war die Forderung, dass der allgemeine Schulunterricht zuallererst auf den Menschen selbst abzielen soll, und zwar unabhängig von seiner Herkunft, seinem sozialen Stand oder seinem Geschlecht, durchaus fortschrittlich.
Von Humboldt formulierte es zu seiner Zeit folgendermaßen: “Der wahre Zweck des Menschen … ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.”
Etwas moderner drückte es der klassische Philologe Werner Jaeger aus. Er interpretierte dieses humanistische Bildungsideal in den 50er Jahren als die „Bildung des Menschen zum Menschen”. Und auch hier muss man den historischen Kontext berücksichtigen: Die Zeit des Nationalsozialismus und der zweite Weltkrieg waren in dieser Zeit noch sehr frisch in Erinnerung.
Die Bildung des Menschen zum Menschen – das schließt die Persönlichkeitsentwicklung und die Wertebildung jedes Einzelnen genauso ein wie seine Orientierung in der Gemeinschaft.
In Europa gibt es eine große Vielfalt an Bildungstraditionen. Doch es ist besonders dieser Bildungsgedanke des deutschen Humanismus, der eine nachhaltige Wirkung hat.
Das jedenfalls betont der derzeit so gefragte Philosoph Prof. Nida-Rümelin immer wieder, der auch mal Politiker war, nämlich Bundes-Kulturstaatsminister. Auch über unsere  Grenzen hinaus fand dieser Gedanke Beachtung. Interessanterweise ist das humanistische Bildungsideal auch heute noch an den amerikanischen Eliteuniversitäten präsent.
Jetzt lässt sich natürlich zu Recht die Frage stellen, ob ein solches Bildungskonzept aus dem 19. Jh. überhaupt noch in die heutige Zeit passt. Es hat sich doch so viel geändert!
Nehmen wir die Digitalisierung. Sie zieht sich durch alle Lebensbereiche und ist sicherlich ein gutes Beispiel für die sich wandelnden Rahmenbedingungen.
Für eine zukunftsfähige Schule ist die Digitalisierung von großer Bedeutung, nicht nur für die technische Ausstattung, sondern auch für die Lerninhalte.
Auf dem Arbeitsmarkt wie auch im Alltag sind digitale Kompetenzen inzwischen eine Selbstverständlichkeit.
Um die Schülerinnen und Schüler auf diese Anforderungen gut vorbereiten zu können, müssen digitale Kompetenzen auch und gerade in den Schulen vermittelt werden.
Es ist deshalb gut und richtig, dass es jetzt in Klasse 7 den Informatikunterricht als verbindlichen Aufbaukurs gibt.Bildung ist auch ein klares Schwerpunktthema der Digitalisierungsstrategie der derzeitigen Landesregierung. Bis Ende des Jahres soll die sogenannte Digitale Bildungsplattform an den Start gehen.
Sie soll Schulen bei der digitalen Entwicklung unterstützen. Dann erhalten die Lehrkräfte auch eine eigene dienstliche E-Mail-Adresse – das wurde auch Zeit.
Aber schon Goethe wusste: „(Denn) es ist zuletzt doch nur der Geist, der jede Technik lebendig macht“.
Einen Schritt nach vorne zu machen und offen gegenüber Neuem zu sein – das ist nicht immer leicht und auch nicht selbstverständlich. Umso bewundernswerter ist die Aufgeschlossenheit der Lehrerschaft gegenüber neuen Aufgaben wie der digitalen Bildung.
Ich denke da zum Beispiel an die White Boards, die Sie, lieber Herr Peters und liebe Frau Ruthardt, mir einmal vorgestellt haben und für die die Stadt Leonberg und der Gemeinderat, lieber Herr Schuler, viel Geld in die Hand genommen hat. Aber es geht ja nicht nur um Hardware und Software. Es muss uns gelingen, die Inhalte und das, was uns wichtig und wertvoll ist, in die digitale Welt zu übertragen. Die neue Technologie ist kein Selbstzweck und ich bin davon überzeugt, dass auch hier die Technik der Pädagogik folgen muss, nicht umgekehrt.
Grundsätzlich gilt für mich das Motto: Was in der analogen Welt richtig ist, muss auch in der digitalen Welt seinen Bestand haben. Das meine ich im juristischen wie im moralischen Sinn.
Wir müssen also verantwortungsbewusst mit der neuen Technik umgehen, ohne uns davon dominieren zu lassen und dies auch der jungen Generation vermitteln. Denn auch oder gerade bei der Digitalisierung muss neben das reine Fachwissen auch das so wichtige Orientierungswissen treten. Wir dürfen unsere Kinder in dieser digitalen Welt nicht alleine lassen, sondern müssen ihnen eine Orientierungshilfe für die neue Lebens- und nicht zuletzt die neue Arbeitswelt geben. Gerade angesichts der neuen Herausforderungen brauchen sie ein Wertegerüst, um sich in neuen Gefilden
zurecht zu finden.
Dem Orientierungswissen kommt also eine große Bedeutung in der Bildung zu – nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft. Auch hier gilt das geflügelte Zitat von 1976 des Verfassungsrechtlers  Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“
Denn unser Staat – und hier spreche ich als Politikerin – kann selber keine Werte schaffen. Ein freiheitlicher Staat kann und will seinen Bürgern nicht autoritär die Werte vorgeben. Demokratische Gesinnung kann man nicht erzwingen. In einem freiheitlichen Staat müssen Gesetze und Normen auf der Vereinbarung der Bürgerinnen und Bürger darüber beruhen. Deswegen braucht es ein verbindendes Ethos, oder einen „Gemeinsinn“ in der Gesellschaft, wie Böckenförde es nennt. Nur mit einer solchen Grundlage kann der Staat eine am Gemeinwohl orientierte Politik verwirklichen.
Die Schulen spielen bei der Vermittlung von Werten eine zentrale Rolle. Es liegt in ihrem Erziehungsauftrag, das Wertebewusstsein der Schülerinnen und Schüler zu stützen und zu fördern – deswegen finde ich es auch so wichtig, dass eine starke SMV gibt. Bei all dem entwickeln die Schülerinnen und Schüler schon früh ein eigenes gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein und werden für demokratische Werte sensibilisiert.
Wir haben es ja leider mit einem zunehmenden Populismus in ganz Europa zu tun und extremistische Parteien und Bewegungen haben Zulauf. Diese Entwicklungen zeigen, wie wichtig die Vermittlung von gegenseitiger Toleranz und Anerkennung ist. Diesen Werten fühlt sich ein Gymnasium, das sich nach Johannes Kepler nennt, natürlich besonders verpflichtet. Denn die Erinnerung daran, wie der berühmte Astronom jahrelang für die Freilassung seiner Mutter kämpfte, die der Hexerei angeklagt wurde, wird hier wach gehalten.
In diesem Jahr, in dem wir ja häufig auf die Reformation vor 500 Jahren hinweisen, will auch ich in diesem Zusammenhang daran erinnern: Denn die Reformation darf auch als große Bildungsbewegung betrachtet werden. Sie wissen ja alle: Mit der Reformation wurde die  deutsche Sprache in den Mittelpunkt gerückt und die Gläubigen zum Lesen, zur eigenen Bibellektüre angehalten. Luther hat mehrfach auf die Bedeutung einer lebensdienlichen und ganzheitlichen Bildung und Erziehung hingewiesen. Erschreckend ist es allerdings, wenn wir uns vor Augen führen, dass diese Erkenntnisse von vor 500 Jahren es nicht verhindert haben, dass es Hexenverfolgung bis weit ins 18. Jahrhundert hinein gab – gerade auch in unserer Region hier.
Und auch wir heute sind noch nicht gefeit dagegen, Sündenböcke zu benennen und Menschen im übertragenen Sinne an den Pranger zu stellen. Der Kampf um eine gemeinsame humane Wertegrundlage ist also ein dauerhafterund endet wohl nie. Jede  Generation muss sie sich selbst immer wieder neu erarbeiten. Daran zeigt sich, wie bedeutsam das humanistische Bildungsideal auch oder gerade in unsere Zeit noch ist.
Die Schülerinnen und Schüler optimal auf die Zeit nach der Schule vorzubereiten – das ist keine leichte Aufgabe. Denn neben all den ideellen Werten, die ich jetzt angesprochen habe, spielen natürlich auch die Anforderungen des Arbeitsmarkts eine wichtige Rolle für die Schule.
Das JKG kann mit Praxisbezug im Unterricht und einem weiten Netzwerk mit Industrie und Wirtschaft aufwarten, darauf können Sie wirklich stolz sein. Auch Fremdsprachen spielen im JKG seit jeher eine große Rolle – unsere Familie war damals sehr davon fasziniert, dass hier Französisch als 1. Fremdsprache angeboten wurde.
Dass in einem Johannes-Kepler-Gymnasium die  naturwissenschaftliche Bildung in den MINT-Fächern besonders hoch gehalten wird und zwar für Jungen wie für Mädchen, scheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein. Umso bedauerlicher ist es, wenn uns dafür die Lehrkräfte fehlen. Denn nur die speziellen Fachlehererinnen und Fachleher können ihre Begeisterung für ein Fach auf die jungen Menschen übertragen.
Deswegen möchte ich zum Schluss besonders  an Sie appellieren, liebe Lehrerinnen und Lehrer, sich den komplexen Aufgaben zu stellen, die über die reine Wissensvermittlung hinausgehen und in den vergangenen Jahren immer mehr auch Erziehungsaufgaben umfassten.
Auch wenn Ihr Beruf mittlerweile sehr anspruchsvoll, vielfältig und anstrengend geworden ist – lassen Sie nicht nach, lassen Sie sich nicht entmutigen! Ich persönlich habe ganz großen Respekt vor Ihrem Beruf und bin davon überzeugt, dass Sie hier am JKG alle Großartiges leisten.
Wir in der Politik müssen unseren Beitrag dazu leisten, das ist ganz klar. Meiner Ansicht nacht sollten zuerst einmal davon ablassen, so viel über Schulstrukturen zu streiten.
Ich bin davon überzeugt, dass der Bildungsforscher Jürgen Baumert Recht hat, wenn er angemahnt: „Nicht die Struktur macht den Unterschied, sondern die Lehrkraft.“ Und jüngst hat uns das ja die groß angelegte Hattie-Studie nochmal bestätigt: Auf die Lehrer kommt es an.
Und Sie, liebe Eltern: Schicken Sie Ihre Kinder nicht einfach nur in die Schule. Geben Sie sie nicht einfach nur in die Obhut dieser staatlichen Behörde ab, sondern machen Sie weiterhin von Ihrem Recht (und Ihrer Pflicht) Gebrauch, an der schulischen Erziehung mitzuwirken. Nicht ohne Grund sieht unser Schulgesetz vor, dass Bildung und Erziehung in einer Erziehungspartnerschaft zwischen den Eltern und den Schulen zu gestalten sind.
Wenn wir jetzt die erschreckenden Ergebnisse der jüngsten IQB-Bildungsstudie zur Grundschule zur Kenntnis nehmen müssen und nach Verbesserungen suchen, dürfen wir meiner Ansicht nach die Eltern nicht außen vorlassen.
Sie müssen auch dazu beitragen, dass die Kinder bildungsfähig und bildungswillig in der Schule ankommen und sie zu Hause nach Kräften unterstützen. Aber dieser Appell ist hier im JKG natürlich wie Eulen nach Athen zu tragen.
Zum Schluss bleibt es mir, als Politikerin für die gesellschaftliche Leistung des JKG und  als Mutter für die Chancen, die meinen Kindern  hier eröffnet wurden, sehr herzlich zu danken.
Ich wünsche Ihnen allen für die Zukunft weiterhin alles Gute und viel Erfolg dabei, das Schulleben am JKG engagiert zu gestalten.